Japanische Schwertkunst Iaido - Rudi Müller aus Bamberg erfolgreich zum 7. Dan graduiert
1986 sah ich Rudi Müller zum ersten Mal als ich am Aikido-Sommerlehrgang in Bad Kissingen teilnahm, weil dort auch die japanische Schwertkunst Iaido unterrichtet wurde und zwar vom japanischen Großmeister Hakuo Sagawa. Dass Sagawa sensei - so die korrekte traditionell japanische Bezeichnung eines Kampfkunstmeisters - seit 1983 und noch viele weitere Jahre zu uns reiste, verdanken wir seiner Schülerin Sylvia Ordynsky, unserer Wegbereiterin des Iaido in Deutschland.
Bereits 1972 begann Rudi Müller als 16-jähriger Karate zu trainieren. Insbesondere faszinierte ihn das Erlernen von Kata, traditionell festgelegten Abfolgen von Kampftechniken gegen imaginäre Gegner, die einen aus unterschiedlichen Richtungen angreifen. Dieses Kata-Training bildete die Grundlage für sein Iaido. Später übte Rudi Müller Aikido und gründete zusammen mit Wolfgang Pagenburg und fünf weiteren Aikidoka den Aikido Club, den heutigen Aikikai Bamberg e.V.. Ab 1983 - als Sagawa sensei zum ersten Mal Iaido in Deutschland lehrte - bot Wolfgang Pagenburg diese Kampfkunst zusätzlich zum Aikido in Bamberg an. Rudi Müller war von Anfang an begeistert mit dabei. Es folgten Wochenendlehrgänge, geleitet von Sylvia Ordynsky, die die halfen, das Iaido in Bamberg allmählich auf ein erkennbares Niveau zu entwickeln.
1999 gründete man den Bayerischen Iaido-Bund, in dem die bayerischen Iaido-Vereine und Iaido-Abteilungen vereinigt sind. Rudi Müller ist seitdem Verbandspräsident. Sylvia Ordynsky legte im Jahr 2000 ihre Iaido-Prüfung zum 7. Meistergrad (7. Dan) ab. Im Mai 2019 erreichte nun auch Rudi Müller als zweiter Iaidoka Deutschlands diese Meisterstufe, die derzeit die höchste Stufe für Nicht-Japaner ist.
Die Mitglieder des Bayerischen Iaido-Bundes freuen sich sehr über den Erfolg ihres Verbandspräsidenten. Auf dem Iaido-Landeslehrgang in München Anfang Juni stellte ich Rudi Müller einige Fragen:
Welches Iaido-Erlebnis hat dich am meisten beeindruckt?
Rudi Müller:
Im Frühjahr 1986 nahm Sylvia Ordynsky mich und zwei weitere deutsche Iaidoka mit nach Tokyo, um dort gemeinsam bei ihrem Lehrer Sagawa sensei Iaido zu üben. Sagawa sensei hatte sich den Luxus erlaubt, mitten im Tokioter Stadtteil Sangenjaya an seinem Wohnhaus eine kleine Übungshalle, ein Dojo anzubauen. Dieses vollständig aus Holz errichtete Dojo strahlte eine beeindruckende Atmosphäre aus. Bei den Bodendielen war die Maserung deutlich fühlbar, da in zigtausend Übungsstunden viele Kendo- und Iaidoka mit ihren bloßen Füßen unermüdlich darauf trainiert hatten.
Zusammen mit Sagawa sensei besuchten wir ein Iaido-Turnier. Dort stellten sich Hunderte von Iaidoka bis einschließlich zum 7. Dan den Vergleichswettkämpfen. Besonders beeindruckte mich ein 6. Dan der Yagyu ryu: Er trug als einziger Wettkämpfer eine cremefarbene Montsuki (Jacke mit weiten Ärmeln) und weiße Tabi (japanische Zehensocken) - ganz gegen den üblichen Kleidungskodex. Allein die Art, wie er sich absetzte oder das Schwert einsteckte, scheinbar ohne vorher die Saya (Schwertscheide) zu berühren, faszinierte mich. Die Kata des alten Stils, die er vorführte, waren umfangreicher, als das, was ich bis dahin kannte. Ich war begeistert! Doch Sagawa sensei meinte nur kritisch: „Das ist kein Iaido, das ist zu viel Show!“ Immerhin errang mein Favorit den zweiten Platz. Enttäuschend fand ich dagegen das Finale der Kategorie 7. Dan. Denn als frisch gekürter Shodan (1. Dan) erwartete ich beim Entscheidungskampf der höchstgraduierten Iaido-Gruppe schon irgendetwas Spektakuläres. Jedoch zeigten die Finalisten ein sehr ruhiges, langsam anmutendes Iaido in äußerst aufrechter Körperhaltung. Heute weiß ich: Diese hochgraduierten Iaidoka zeigten damals vor 33 Jahren Iaido genau in der Weise, die mich vor kurzem die Prüfung zum 7. Dan bestehen ließ. Dies beeindruckte mich im Nachhinein gesehen wohl am meisten.
Welchen Nutzen hat Iaido in der heutigen Zeit?
Rudi Müller:
Nun, da Iaido nicht wie die meisten anderen japanischen Kampfkünste zur Selbstverteidigung dienen kann, erkennen Unkundige kaum, warum man Iaido in der heutigen Zeit noch üben soll.
Das Offensichtliche vorweg: Iaido fördert und erhält die geistige und körperliche Beweglichkeit im Gegensatz zu vielen westlichen Sportarten, bei denen Mitte 30 „Schluss“ ist, auch noch bis ins hohe Alter! Meine beiden früheren japanischen Iaido-Lehrer praktizierten Iaido bis zu ihren Tod im Alter von 87 Jahren.
Doch Iaido ist wesentlich mehr als eine exotische Gymnastik mit dem Samurai-Schwert: Ziel des heutigen Iaido ist, durch beständiges Üben zu lernen, Schwert und Körper in den verschiedenen vorgegebenen Kampfsituationen exakt und sicher zu bewegen, währenddessen einen ruhigen Geist zu bewahren und auch mit dem Herzen voll bei der Sache zu sein. Nicht der Sieg über die imaginären Gegner steht im Vordergrund, sondern der Sieg über sich selbst. Jahr für Jahr regelmäßig alle Übungsstunden zu besuchen, die zahlreichen Verbesserungen des Lehrers widerspruchslos anzunehmen und zu übernehmen, beim Nichtbestehen einer Prüfung sich nicht entmutigen zu lassen und Niederlagen bei Vergleichs-Wettkämpfen zu überwinden, entwickelt beim Übenden Bescheidenheit und Zurückhaltung, aber auch Stärke und Ausdauer. Die Anforderungen im Iaido stellen einen ernsthaft Übenden vor eine intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Bequemlichkeiten und Unzulänglichkeiten. Diese zu überwinden sowie das stete Bemühen sich zu verbessern ist Kern der Übung. Zudem wird großer Wert auf Etikette und Höflichkeit gelegt. All dies stärkt positiv den eigenen Charakters und kann helfen, ein besserer Mensch zu werden. In welcher Sportart gibt es in unserer heutigen Zeit einen größeren Nutzen?
Wie sehen deine Zukunftsvisionen und Wünsche im Iaido aus?
Rudi Müller:
Mein wichtigster Wunsch ist sicherlich, gesund zu bleiben, um so lange wie möglich Iaido üben zu können. Da ich ja erst kürzlich die höchste Stufe im Iaido für Nicht-Japaner erreicht habe, wäre es vermessen, jetzt schon nach dem achten Dan zu schielen. Da kann ich jetzt etwas entspannt meinen europäischen 7.-Dan-Kollegen, die diese Graduierungen schon vor Jahren erreicht haben, den Vortritt lassen und sehen, ob die japanischen Großmeister bereit sind, den „Langnasen“ den 8. Dan zu zugestehen.
Ich werde mich weiterhin bemühen, mein derzeitiges Niveau zu erhalten und zu festigen. Zudem ist mir bewusst, dass nun meine Aufgaben und Verantwortungen gewachsen sind hinsichtlich der Weitergabe meiner Iaido-Kenntnisse - nicht nur in Deutschland, sondern mittlerweile auch in ganz Europa.
Und schließlich: Iaido muss kein Massensport werden, aber ein wachsendes Interesse an dieser faszinierenden Schwertkampfkunst würde mich sehr freuen.
Mehr zu Iaido in Bayern: www.bayerischer-iaido-bund.de
Autor:Annette Maul aus Nürnberg |
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