Exklusives Doppelinterview vor der Jahreshauptversammlung
Club-Vorstände sprechen Klartext über Aufstieg, Finanzen, Kader und Adidas!
NÜRNBERG/REGION (mask) – Die Jahreshauptversammlung stellt die Weichen für den 1. FC Nürnberg. Anlass für den MarktSpiegel, die beiden Club-Vorstände für Finanzen und Sport zum Interview zu bitten: Aufstieg, Finanzen, Kader und Adidas: Im Doppel-Interview stehen Niels Rossow und Dieter Hecking Rede und Antwort!
MarktSpiegel: Herr Rossow, am Dienstag ist Jahreshauptversammlung beim 1. FC Nürnberg. Nachdem erst so recht keiner kandidieren wollte, tauchen jetzt kurz vor Fristende jeden Menge Kandidaten auf. Wie erklären Sie sich das?Niels Rossow: „Zuallererst freuen wir uns sehr, mit den Mitgliedern in Austausch treten zu können und ein Format geschaffen zu haben, bei dem deutlich mehr Mitglieder auf unkomplizierte Art und Weise unseren Jahresberichten folgen können. Auch wenn wir mit den besten Partnern an der Umsetzung der virtuellen Jahreshauptversammlung arbeiten, wird der Dialog mit unseren Mitgliedern und das Erlebnis Jahreshauptversammlung für alle Teilnehmer eine neue Erfahrung sein. Wir sind durch zwei enttäuschende Jahre gegangen, deshalb verstehen wir, dass ein gewisser Redebedarf herrscht. Ich begrüße sehr, dass so viele Mitglieder bereit sind, Verantwortung zu übernehmen."
Zwei bekannte Aufsichtsräte hören auf: Günther Koch und Stefan Müller. Es kandidieren mit Oechler, Driller und Pagenburg drei Ex-Spieler...
Dieter Hecking: „Generell sollte der Aufsichtsrat meiner Meinung nach mit unterschiedlichsten Charakteren besetzt und breit gefächert sein, ob aus der Wirtschaft, dem Sport oder der Politik. Wenn also drei ehemalige Spieler kandidieren, dann wird es an ihnen sein, die Mitglieder zu überzeugen, dass sie die Richtigen sind."
Herr Hecking, Sie sind nach Andreas Bornemann und Robert Palikuca der dritte FCN-Sportvorstand in anderthalb Jahren. Warum soll jetzt mit Ihnen mehr Drive in die Angelegenheit kommen?
Hecking (lacht): „Ich weiß es nicht.“
MarktSpiegel: Eine sympathische Antwort.
Hecking: „Ernsthaft, es steht mir nicht zu, die Arbeit meiner Vorgänger zu beurteilen. Ich merke, dass viele Leute positiv auf meine Ernennung reagiert haben. Damit ist sicher Hoffnung verbunden, weil sie mich als Cheftrainer kennen, und diese drei Jahre für den Club erfolgreich waren. Ich werde wieder versuchen, das Bestmögliche zu erreichen. Mehr wissen wir auf der Jahreshauptversammlung 2021.“
Vorher erwartet man von Ihnen doch den Aufstieg!
Hecking: „Es gehört zu unserer Aufgabe, mit Erwartungen realistisch umzugehen. Fragen Sie mal in Hamburg, Düsseldorf oder Bochum nach – es ist immer leicht gesagt: Ihr müsst doch Erste Bundesliga spielen! Je länger du in der Zweiten Liga bist, desto enger wird der Kreis der Möglichkeiten, desto schwieriger wird’s, da rauszukommen. Ich bin ambitioniert, der Trainerstab ist es auch. Natürlich wollen wir aufsteigen! Aber ich werde uns keinen Zeitplan auferlegen.“
Sondern? Was ist Ihr Plan?
Hecking: „ Wir wollen erstklassigen Fußball spielen. Und erstklassig’ heißt für mich im Moment noch nicht automatisch Erste Bundesliga. Erstklassig heißt für mich, den Fans eine Mannschaft zu bieten, mit der sie sich identifizieren können. Bei der sie, wie nach Sandhausen, zufrieden nach Hause gehen, weil sie Leidenschaft, ein gutes Spiel und Erfolg erlebt haben.
Was sagt Ihr Finanzvorstand dazu? Wie viele Jahre Zweite Liga kann sich der Club denn leisten?
Rossow: „Der Club hat sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich konsolidiert und begegnet der ungewissen Pandemie-Situation mit Solidität."
Der Start in diese Saison ist recht durchwachsen: ein Sieg, ein Unentschieden, eine Niederlage. Woliegen die Stärken und Schwächen des aktuellen Kaders?
Hecking: „Wir haben dem Großteil des letztjährigen Kaders das Vertrauen geschenkt. Der Trainer und ich sind der Meinung, dass es keiner großen Blutauffrischung bedarf, um besser Fußball zu spielen, um erfolgreicher zu spielen. Es wird Positionen geben, über die wir nachdenken müssen. Wir fühlen uns aber darin bestätigt, dass die Mannschaft aus der gewonnenen Relegation viel Teamgeist zieht. Man merkt, die Jungs wollen es besser machen als letzte Saison! Die ersten Spiele haben gezeigt, dass wir an einem guten Tag jedem Gegner wehtun können – und an einem weniger guten Tag gegen jeden Gegner verlieren können. In dieser Balance werden wir uns noch einige Zeit bewegen. Wir haben mit Pascal Köpke und Manuel Schäffler zwei Spieler, die – wenn sie ihre Normalform haben – unseren Kader nochmal von der Qualität her verbessern sollten. Wir sind also noch nicht am Ende unserer Möglichkeiten.“
Stichwort Trainer. Warum hat der Club Marek Mintal nicht vertraut, ihn nicht zum Coach gemacht?
Hecking: „In einem unserer ersten Gespräche habe ich ihm gesagt, dass ich sehen möchte, wie er als Trainer arbeitet. Wie geht er mit Mannschaften um? Das konnte ich nicht beurteilen. In den Relegationsspielen stand Michael Wiesinger für alle sichtbar vorne an der Linie, weil man offensichtlich der Meinung war, dass er derjenige in diesem Duo ist, der es an die Mannschaft herantragen soll. Ich glaube, dass Marek ein guter Trainer wird, das kann ich jetzt nach zehn Wochen sagen. Ich sehe, wie engagiert er arbeitet und schließe nicht aus, dass er irgendwann Cheftrainer wird. Wir haben mit ihm einen Kandidaten in unseren Reihen, dem man diesen Sprung zutrauen kann.“
Wird es unter Ihnen mehr Geld für den Nachwuchs geben?
Hecking: „Wenn du noch eine Million mehr ins Nachwuchsleistungszentrum steckst, garantiert das nicht gleich mehr Erfolg. Wir müssen mehrere Wege gehen. Die eine Säule ist der eigene Nachwuchs. Die zweite sind außergewöhnliche Spieler, die die Qualität erhöhen, dafür braucht die Profiabteilung auch den einen oder anderen Euro. Dazu kommen die ablösefreien Spieler und das Becken der Dritten und Vierten Liga. Gerade im Nachwuchsbereich ist der Markt so umkämpft, da wird es zur Philosophiefrage, ob du bereit bist, selbst für Jugendliche schon Gehälter zu zahlen. Wir sind es nicht. Wir zahlen eine Aufwandsentschädigung, aber nicht in der Form, dass wir Eltern Arbeitsplätze besorgen oder mit Verträgen winken. Das wollen wir nicht – und das wäre auch grundsätzlich falsch aus meiner Sicht.“
Wie sieht das Innenverhältnis zwischen Ihnen und dem jungen Trainer Robert Klauß aus?
Hecking (schmunzelt): „Mit der Frage durfte ich rechnen. Wie kann einer, der 20 Jahre den Trainerberuf gelebt hat, sich ins Büro setzen statt auf dem Trainingsplatz zu stehen? Der Rollenwechsel war aber keine Kurzschlussaktion von mir aus der Enttäuschung heraus, mit dem HSV nicht aufgestiegen zu sein. Ich habe mir seit Jahren Gedanken gemacht, ob ich mit 60 und älter noch den Trainerjob ausüben will oder, wenn sich die Chance bietet, es mir zutraue, auf der anderen Seite zu arbeiten. Jetzt kam die Anfrage vom 1. FC Nürnberg. Ich habe mich dann eine Woche an den Gardasee zurückgezogen, um für mich die finale Entscheidung zu durchdenken.“
Und unterschrieben. Fällt es Ihnen nun schwer, sich rauszunehmen?
Hecking: „Nein. Ich habe Robert Klauß vom ersten Tag an gesagt: Es ist null mein Anliegen, auf der Bank zu sitzen, es ist auch null mein Anliegen, dir in die tägliche Arbeit reinzureden. Ich werde ab und zu mal beim Training zugucken, weil’s mich einfach interessiert, weil ich sehen will, wie die Spieler drauf sind. Letztlich geht’s darum, dass ich meinem Trainer den Rücken stärke, gerade in Phasen, wo es auch mal eine Durststrecke gibt. Robert und ich sind im täglichen Austausch, und ich finde diesen Austausch gut, so wie er ist.“
Wie sehen die Finanzen in Corona-Zeiten aus, in denen Ihnen die Zuschauer fehlen? Kann man den Verlust schon beziffern?
Rossow: „Kann man. Das lässt sich ja auch relativ einfach ausrechnen. In der letzten Saison hatten wir vier Heimspiele ohne Zuschauer, darunter ein Heimspiel gegen Greuther Fürth, das ist ein ausverkauftes Stadion. Ebenso das Spiel gegen den VfB Stuttgart. Die entgangenen Einnahmen allein der letzten Saison sind siebenstellig. Überwältigt hat uns die Loyalität und Solidarität unserer Dauerkarten-Inhaber und Sponsoren, die uns die Situation spürbar erträglicher gemacht haben.“
Wie reagieren Sie darauf?
Rossow (ernst): „Wir sind noch lange nicht über den Pandemie-Berg, wir sehen ja, wie die Fallzahlen wieder in die Höhe schnellen. Dementsprechend müssen wir zweigleisig planen: Können wir mit gedrosseltem Zuschaueraufkommen agieren oder gibt es wieder Geisterspiele? Die kommende Saison wird wirtschaftlich extrem anspruchsvoll.“
Gab es auch beim Club Gehaltsverzicht und Kurzarbeit?
Rossow: „Ja. Wir hatten von unseren 170 festangestellten Mitarbeitern mehr als die Hälfte in Kurzarbeit, eine stattliche Anzahl weiterer Mitarbeiter haben auf freiwilliger Basis auf Teile ihres Gehalts verzichtet. Da war eine Einheit spürbar, die mich sehr stolz macht.“
Wie steht es um das seit Jahren diskutierte Vorhaben, den Profi-Fußball aus dem FCN auszugliedern, um Investoren zu gewinnen?
Rossow: „Das ist ein Trend innerhalb der Profivereine, der eine größere Flexibilität und vielleicht auch Dynamik in eine Klubstruktur bringen kann. Der 1. FC Nürnberg hat sich auch damit beschäftigt. Zum jetzigen Zeitpunkt sind jedoch wichtige Kriterien für einen solchen Schritt nicht erfüllt. Wir fühlen uns in der aktuellen Vereins- und Organisationsstruktur sehr wohl.
Man hört aus Insiderkreisen von 1,8 Millionen Euro Gewinn, die Sie vermelden können?
Rossow: „Das geht in die richtige Richtung. Die genaue Zahl dürfen wir erst auf der Jahreshauptversammlung veröffentlichen. Aber wir werden einen Gewinn realisieren können, der ungefähr in dieser Dimension liegt, das stimmt.“
Herzlichen Glückwunsch!
Rossow: „Dankeschön. Die Freude geht ja einher mit dem warnenden Ausblick auf die neue Saison, wo es eher unwahrscheinlich ist, dass wir Gewinn ausweisen werden.“
Der neue Ausrüster für den Club heißt wieder Adidas!
Rossow: „Der Vertrag mit Umbro läuft zum Ende der Saison 2020/21 aus und wir freuen uns, mit 11teamsports eine langfristige Konstellation gefunden zu haben, die uns ermöglicht hat, ab nächster Spielzeit eine Rückkehr zu Adidas perfekt zu machen. Wir werden künftig mit Adidas, Hauptsponsor NÜRNBERGER Versicherung und Ärmelpartner Exasol in einem rein fränkischen Trikot auflaufen und so ein starker Repräsentant Frankens in Deutschland sein.“
Wie sieht es mit einer eigenen Arena aus?
Rossow: „Unser Stadion wurde 2006 zuletzt renoviert, es kommt etwas in die Jahre und der Instandhaltungsaufwand wird ein stetig größerer. Wir haben einen sehr partnerschaftlichen Dialog mit unserem Vermieter, der Stadt Nürnberg. Natürlich wäre es schöner, wenn wir eine reine Fußballarena hätten, mit mehr VIP-Plätzen, mit denen wir uns besser vermarkten könnten.. Standort und Verkehrsanbindung sind nach wie vor einzigartig. Wenn es mal in Richtung neue Arena ginge, würden auch wir unseren Anteil beitragen wollen."
Ein Weihnachtstand auf dem Christkindlesmarkt, eine FCN-Straßenbahn, ein Club-Flieger. Tolle Aktionen für Erstklässler. Und im Klinikum spendieren Sie Babys jetzt sogar FCN-Strampler. Was bezwecken Sie damit?
Rossow: „In der Vergangenheit wurde oft zynisch über den Club geredet. Wir wollen, dass der Nürnberger stolz auf seinen Verein ist. Wir wollen Leben begleiten. Es geht nicht nur um die Sichtbarkeit des FCN. Es geht um soziale Verantwortung, Haltung, Integration, Inklusion, Bewegungsförderung. Dass man als 1. FCN Meinungen äußert, die über den Fußball hinaus gehen. Wir haben die Strahlkraft dazu – und auch die Resonanz der Fans ist absolut positiv. Sie packen mit uns an oder gehen gern an den Josephsplatz ins Clubhaus, trinken einen Kaffee, um sich in der Nähe des 1. FCN aufzuhalten, um ein Stück Atmosphäre vom Club mitzunehmen.“
Autor:Peter Maskow aus Nürnberg |
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