Menschenrechtspreis 2015 verliehen
NÜRNBERG (pm/nf) - Bei einem Festakt im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg ist heute Mittag vor rund 800 Gästen der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis an den Gewerkschaftsführer und Menschenrechtsaktivisten Amirul Haque Amin aus Bangladesch verliehen worden. Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly überreichte die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung an den 54-Jährigen.
Die Stadt Nürnberg vergab den Preis heuer zum elften Mal. An der anschließenden traditionellen Friedenstafel in der Nürnberger Altstadt nahmen rund 3.500 Bürgerinnen und Bürger teil. Der Gewerkschafter erhielt den Preis in Anerkennung seines unermüdlichen Einsatzes für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der exportorientierten Bekleidungsindustrie von Bangladesch. Für sein Engagement wird Amirul Haque Amin immer wieder angefeindet. Amin, geboren am 1. April 1961, ist Präsident und Mitbegründer der National Garment Workers Federation (NGWF – Nationale Gewerkschaft der Textilarbeiter), der größten Gewerkschaft in Bangladesch. Die NGWF mit Hauptsitz in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka kämpft seit 1984 gegen die schlimmen Arbeitsbedingungen in der Textil- und Bekleidungsindustrie, besonders im Blick auf die katastrophalen Ereignisse in Fabrikgebäuden der jüngeren Vergangenheit.
„Amirul Haque Amin und seine Gewerkschaftskollegen in Bangladesch führen einen täglichen Kampf für ein besseres und sichereres Leben für Millionen von Textilarbeitern“, stellte Alke Boessiger in ihrer Laudatio fest. Boessiger leitet die Handelsabteilung von UNI Global Union, dem weltweiten Dachverband der Gewerkschaften des privaten Dienstleistungsgewerbes. Boessiger zufolge hatte Amin schon seit Jahrzehnten gewarnt, „dass der gefährlichste Arbeitsplatz der Welt hinter einer Nähmaschine in Bangladesch ist“. Auch nach dem Rana-Plaza- Unglück kämpften Amin und seine Mitstreiter „tagtäglich mit Fabrikbesitzern“ um Sicherheits-Mindeststandards und um das Recht, Gewerkschaften zu gründen.
Es sei jedoch gelungen, dass am 15. Mai 2013 ein von dem weltweiten Gewerkschaftsverband IndustriALL und Amin ausgearbeitetes, rechtlich bindendes Abkommen für ein Brandschutz- und Gebäudesicherheitsprogramm in allen Kleidungsfabriken Bangladeschs abgeschlossen werden konnte. 25 Marken hatten es zunächst unterzeichnet. „Heute“, so Boessiger, „umfasst das Abkommen 220 Markenhersteller und etwa 1.600 Fabriken mit mehr als zwei Millionen Arbeiterinnen“. Wörtlich sagte Boessiger: „Ich verneige mich vor Amin angesichts seiner Leistungen und Tapferkeit. Ohne Amins Entschlossenheit gäbe es weder Gewerkschaften noch hätte es im letzten Jahr eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns gegeben. Ohne Amin hätten wir das Bangladesch-Abkommen niemals geschlossen. Wir alle zusammen – Regierungen, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbraucher – schulden es den Opfern von Rana Plaza und allen Arbeiterinnen, die in Arbeitsunfällen zu Tode gekommen sind, dass wir jeden Arbeitsplatz zu einem sicheren Arbeitsplatz machen.“
Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly hob hervor, dass die Jury mit der Auszeichnung des Gewerkschaftsführers Amin erstmals die sozialen Menschenrechte in den Blick genommen habe. Der Preis stelle auch „eine Ehrung für alle Gewerkschaften“ dar. Und: Der „Preis hält uns selber einen unerbittlichen Spiegel vor“ im Blick auf unserer eigenes Konsumentenverhalten. Maly erinnerte daran, dass die Stadt mit dem Preis seit 1995 ein „sichtbares Bekenntnis zu einer verpflichtenden Vergangenheit“ abgebe.
Für die Bundesregierung betonte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dass es in den allermeisten Ländern der Erde um die stete Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen gehe. Es gebe sehr wohl einen Zusammenhang „zwischen schlechten Arbeitsbedingungen und den Flüchtlingsbewegungen“. Es sei eine „große Schande der internationalen Staatengemeinschaft“, dass in Jordanien nicht mehr ausreichend Mittel für die Betreuung von Flüchtlingen zur Verfügung stehen, weil „das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen nicht genug Geld hat“. Der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis werde „Amin stärken“ und rege „hier zum Umdenken an“. Wörtlich sagte Gabriel: „Herzlichen Dank für die exzellente Auswahl und den wunderbaren Preis, der Deutschland insgesamt eine Ehre ist.“
Mit der Auszeichnung Amins möchte die Jury auf mehrere Aspekte hinweisen. In der Würdigung heißt es: „In Bangladesch ist Gewerkschaftsarbeit außerordentlich gefährlich. Aktive laufen nicht nur Gefahr, ihre Arbeitsstelle zu verlieren, sie werden oft schikaniert, bedroht oder verhaftet. Die Jury hofft, dass der Preis Herrn Amin und seinen Mitstreitenden den Schutz gibt, um ihren Kampf für menschenwürdige Arbeitsbedingungen fortsetzen zu können. Zum anderen möchte die Jury an das Verbrauchergewissen appellieren und für verantwortungsvollen Konsum sensibilisieren. Die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, unter welchen Bedingungen ihre Bekleidung produziert wird. Nicht zuletzt möchte die Jury ihr Votum in einem wirtschaftsethischen Rahmen eingebettet sehen, denn globalisierter und freier Handel ohne die Einhaltung sozialer Standards widerspricht grundlegenden menschenrechtlichen Anforderungen.“
Amirul Haque Amin zeigte sich tief bewegt von der Auszeichnung. Mit diesem Preis an einen Gewerkschafter habe die Jury auch unterstrichen, dass die Rechte der Arbeiter und Gewerkschaften einschließlich sicherer Arbeitsplätze, Existenz sichernder Entlohnung und der Freiheit, Gewerkschaften zu gründen, feste Bestandteile der universellen Menschenrechte sind. Amin versteht den Preis als „Inspiration“ und Ansporn, zusammen mit seinen Mitstreitern noch weiter für die Rechte der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch zu kämpfen. In den derzeit 5 000 Textilfabriken in Bangladesch sind nach seinen Worten 4,2 Millionen Menschen beschäftigt, 85 Prozent von ihnen seien Frauen. Der Textilsektor mache 81 Prozent der Exporte aus.
Sandra Polaski, stellvertretende Generaldirektorin für Politikfragen bei der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen, verwies darauf, dass in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch nach Sri Lanka die zweitniedrigsten Löhne weltweit gezahlt würden. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 50 Euro im Monat liegt Bangladesch noch deutlich unter dem Lohnniveau von Kambodscha, Vietnam, China oder Indien.
Hintergrund:
Am 17. September 1995 hat die Stadt erstmals den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis vergeben – 60 Jahre nach der Verkündung der nationalsozialistischen Rassengesetze in Nürnberg und 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Seither wird die Auszeichnung alle zwei Jahre Personen verliehen, die sich zum Teil unter erheblichen persönlichen Risiken für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen. Der Preis ist laut Satzung ein Symbol dafür, dass von Nürnberg, der einstigen Stadt der nationalsozialistischen Reichsparteitage und der menschenverachtenden NS-Rassengesetze, „in Gegenwart und Zukunft nur noch Signale des Friedens und der Völkerverständigung ausgehen“. Inspiriert wurde der Preis auch von der „Straße der Menschenrechte“, die der Künstler Dani Karavan vor 20 Jahren in Nürnberg geschaffen hat. Die Entscheidung über die Preisvergabe trifft eine internationale Jury unter Vorsitz von Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly. Der Preis steht alle zwei Jahre im Mittelpunkt des vielfältigen Engagements der Stadt Nürnberg, die 1997 das erste kommunale Menschenrechtsbüro Deutschlands einrichtete.
Die bisherigen Preisträger sind 1995 Sergej Kowaljow (Russland), 1997 Khémaïs Chammari (Tunesien) und Abe J. Nathan (Israel), 1999 Fatimata M’Baye (Mauretanien), 2001 Bischof Samuel Ruíz García (Mexiko), 2003 Teesta Setalvad (Indien) und Ibn Abdur Rehman (Pakistan), 2005 Tamara Chikunova (Usbekistan), 2007 Eugénie Musayidire (Ruanda), 2009 Abdolfattah Soltani (Iran), 2011 Hollman Morris (Kolumbien) und 2013 Kasha Jacqueline Nabagesera (Uganda). Mehrere frühere Preisträger waren auch beim heutigen Festakt anwesend. Ein Platz blieb allerdings leer: Der Preisträger von 2009, Abdolfattah Soltani, ist trotz weltweiter Proteste nach wie vor im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert. Ein Foto von ihm auf einem leeren Stuhl vor der Bühne des Opernhauses stand stellvertretend für unzählige Menschenrechtsverteidiger, die wegen ihres Engagements eingeschüchtert, eingesperrt oder verschleppt werden.
Autor:Redaktion MarktSpiegel aus Nürnberg |
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