#MeToo-Debatte
Abschied von Regisseur Dieter Wedel
MÜNCHEN/HAMBURG (dpa) - Er galt als Großmeister des Fernsehfilms - am Ende des langen Lebens von Dieter Wedel war aber vor allem von schweren Vorwürfen die Rede. Nun ist der Regisseur im Alter von 82 Jahren gestorben. Kurz bevor ein Münchner Gericht bekannt geben wollte, ob es ihm wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs den Prozess macht.
Statt einer Entscheidung über die Zulassung der Anklage, die die Staatsanwaltschaft schon vor mehr als einem Jahr erhoben hat, veröffentlicht das Gericht am Mittwoch die Todesnachricht. Demnach starb Wedel, der die Vorwürfe gegen ihn stets bestritten hat, schon am 13. Juli in einer Hamburger Klinik. Er sei «nach langer, schwerer Krankheit verstorben», teilt die Kanzlei von Peter Gauweiler mit, die Wedel im Vergewaltigungsverfahren vertrat.
Die Schauspielerin Jany Tempel, die angibt, von Wedel vergewaltigt worden zu sein, und im Prozess gegen ihn als Nebenklägerin auftreten wollte, zeigt sich nach dem Tod des Regisseurs «völlig perplex». Das sagt ihr Anwalt Alexander Stevens der Deutschen Presse-Agentur. Er spricht Wedels Angehörigen sein Beileid aus, betont aber auch, dass er davon ausgehe, dass der Prozess gegen Wedel eröffnet und dieser dann im Verfahren auch verurteilt worden wäre.
Die Staatsanwaltschaft hatte Wedel schon im März vergangenen Jahres wegen eines Vorwurfs aus dem Jahr 1996 angeklagt. Tempel gibt an, Wedel («Der große Bellheim», «Der Schattenmann») habe sie damals in einem Münchner Luxushotel vergewaltigt - ein Vorwurf, dem Wedel widersprach.
Die Vorwürfe gegen Wedel waren Anfang 2018 bekannt geworden. Damals beschuldigten drei Schauspielerinnen - darunter Tempel - ihn im «Zeit-Magazin», sie in den 90er Jahren sexuell bedrängt zu haben.
Mit der Einstellung des Verfahrens gegen ihn wird nun auch der bekannteste Fall in der deutschen #MeToo-Debatte zu den Akten gelegt, die 2017 ins Rollen gekommen war. Unter dem Hashtag #MeToo posteten damals vor allem Frauen in sozialen Netzwerken millionenfach ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. Der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein wurde schließlich als Sexualstraftäter verurteilt - ein Fall, der oft mit den Vorwürfen gegen Wedel verglichen wurde.
Erfolge mit TV-Mehrteilern
Dieser Skandal überschattete Wedels Werk zuletzt so sehr, dass von seinen großen Erfolgen kaum noch die Rede war. Fast in Vergessenheit geraten war, dass Wedel mit TV-Mehrteilern wie «Der große Bellheim», «Der Schattenmann», «Der König von St. Pauli» oder «Die Affäre Semmeling» einst ein Millionen-Publikum begeisterte und sich einen Platz in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sicherte. Er hat das Bundesverdienstkreuz bekommen und drei Mal den Adfolf-Grimme-Preis in Gold.
Er galt lange als Mann, der das Leben in vollen Zügen auskostete - als «polyamorer Lebensfreund», wie die «Süddeutsche Zeitung» einmal schrieb. In der Tat hatte er viele Jahre lang in einer Dreiecksbeziehung gelebt, die aber schließlich doch in einer Ehe mit einer der beiden Frauen mündete. Sechs Kinder von sechs Frauen hatte Wedel, davon einen Sohn mit der Schauspielerin Hannelore Elsner.
Zu seinem 75. Geburtstag hatte er noch gesagt, er wolle arbeiten, bis er umfalle. «Ich habe das Glück, an meinem Beruf Spaß zu haben. Ich kann mich selbstverwirklichen. Ich lese immer, ich sei ein Workaholic. Das stimmt aber nicht. Wenn es Spaß macht, ist es ja keine Arbeit.» Als die Vorwürfe gegen ihn bekannt wurden, sah er sich als Opfer einer Verleumdungskampagne.
Toxisches Arbeitsklima
Ufa-Chef Nico Hofmann hatte Wedel zum 75. noch gewürdigt und ihn einen «Querdenker» genannt - «auf tolle Weise». Nach Bekanntwerden des Sex-Skandals sagte er: «Es wusste jeder, dass bei Dieter Wedel ein rauer Ton am Set herrschte, aber von sexuellen Übergriffen - oder sogar Vergewaltigungen - war mir nichts bekannt.»
Viele Filmschaffende, die mit Wedel zusammengearbeitet hatten, berichteten von einem toxischen Arbeitsklima, von großem Druck, den der Regisseur aufbaute - und von einem harrschen Ton. Wedel selbst nannte sich einmal eine «zickige Diva»: «Dann denke ich: Du bist ja unerträglich, aber trotzdem komme ich da nicht raus.»
Dass das große #Metoo-Verfahren gegen Wedel nun einfach zu den Akten gelegt wird, ist nicht nur für das mutmaßliche Opfer, Nebenklägerin Tempel, schmerzhaft. Für Wedel bedeutet es, dass die Vorwürfe, die vor Gericht überprüft worden wären, ihm auch posthum immer anlasten werden. Es gibt nach seinem Tod auch Stimmen, die sagen, es habe eine besondere Tragik, dass sich Wedel jetzt nicht mehr juristisch verteidigen könne.
Das Verfahren gegen Wedel sei «medial zum angeblichen "Musterverfahren" einer gesellschaftlichen Bewegung aufgebauscht» worden, teilen seine Anwälte am Tag der Todesnachricht mit. Das Verfahren gegen ihren Mandanten, das nun eingestellt wird, sei ein «bedrückendes Beispiel dafür, wie durch einseitige Skandalisierung und moralisierende Verfolgungsmentalität Grundlagen des rechtsstaatlichen Strafverfahrens unter Druck geraten und in Frage gestellt werden können».
Jany Tempel sieht das alles anders. Seine Mandantin hoffe nun, dass sich nach Wedels Tod nun mehr Frauen aus der Defensive wagen - «und ihre Geschichte erzählen», sagt ihr Anwalt Stevens. Tempel war zuletzt sogar kurzzeitig in den Hungerstreik getreten, um dagegen zu protestieren, dass das Gericht sich mit seiner Entscheidung über eine Verfahrenseröffnung so lange Zeit ließ.
Von Cordula Dieckmann und Britta Schultejans, dpa
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