IHK-Konjunkturklima Mittelfranken Frühjahr 2020
Corona lässt die Wirtschaft abstürzen: Wege zum Re-Start

Foto: Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken
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Nach einem Jahrzehnt des Aufschwungs: Stimmung der mittelfränkischen Wirtschaft auf einem historischen Tiefstand

NÜRNBERG (pm/nf) - Die mittelfränkische Wirtschaft wird von der Corona-Krise voll getroffen: Der IHK-Konjunkturklimaindex ist nach einem Jahrzehnt des Aufschwungs auf einen historischen Tiefstand eingebrochen. Zu Jahresbeginn lag die Marke noch bei 117 Punkten, im Frühjahr 2020 ist der Index nun auf 70 Punkte abgestürzt. Die Unternehmen, die von Betriebsschließungen in Einzelhandel, Gastgewerbe und Dienstleistungen betroffen sind, beschreiben ihre Situation vielfach als existenzbedrohend. Doch auch in fast allen anderen Wirtschaftssektoren sind die Umsätze massiv rückläufig, weil die internationalen Wertschöpfungsketten nicht mehr funktionieren. Das sind zentrale Ergebnisse der IHK-Konjunkturumfrage im Frühjahr 2020.

Die Betriebe können ihre Liquidität nur sichern, indem sie Kurzarbeit anmelden, die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen in großem Umfang nutzen und harte Kostenschnitte vornehmen. Die Mehrheit der Befragten erklärt in der aktuellen IHK-Konjunkturumfrage, dass es für eine Wiederbelebung von Investitionen und Beschäftigung mehr brauche als kurzfristige Hilfsprogramme oder breit gestreute Konsumanreize. Die mittelfränkischen Betriebe fordern deshalb steuerliche Erleichterungen (insbesondere Verlustvorträge und -rückträge sowie bessere Abschreibungsmöglichkeiten) und staatliche Infrastrukturinvestitionen, die den Neustart wirksam unterstützen würden. „Die Unternehmen sind der Meinung, dass nur auf diese Weise ein nachhaltiges Wachstum möglich ist und dass sich nur so die Arbeitsplätze sichern lassen“, erklärt IHK-Chef-Volkswirt Dr. Udo Raab.

Bei der vorherigen IHK-Konjunkturumfrage zu Jahresbeginn hatten die Unternehmer noch gehofft, dass sich der jahrelange Aufschwung fortsetzen werde. Nun berichten sie über alle Branchen hinweg, dass sie von der weltweit stark gebremsten Nachfrage und von stornierten Aufträgen kalt erwischt wurden und dass deshalb ihre Auslastung und ihre Umsätze eingebrochen sind. Hinzu kommt, dass die langfristigen gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen – z. B. Fachkräftemangel, Klimaschutz, Beschränkungen des Welthandels und Sorge um die Stabilität der EU – seither nicht verschwunden sind.

Die mittelfränkische Wirtschaft erlebt in den Tagen um den Umfragezeitraum (5. bis 14. Mai 2020) die ersten vorsichtigen Schritte zur Aufhebung von Corona-bedingten Beschränkungen. Während etwa im Einzelhandel fast alle Geschäfte unter Wahrung der Hygiene- und Abstandsregeln wieder zugelassen sind und das Gastgewerbe immerhin einen Zeitplan für die Wiederöffnung erkennt, sind die Perspektiven für eine Reihe von Dienstleistungssektoren noch unklar. Das betrifft u. a. Messe- und Kongresswesen, Großhandel, Logistik und Unternehmensdienstleistungen.

Aber auch die international vernetzte Industrie steht vor großen Herausforderungen, weil die Lieferketten brüchig geworden sind. Viele Betriebe berichten von zahlreichen Corona-bedingten Herausforderungen, die sie gleichzeitig bewältigen müssen: Unsicherheit in der Produktions- und Personaleinsatzplanung, bei internationalen Beschaffungsprozessen und im weltweiten Vertrieb. Unklar ist auch, wann der EU-Binnenmarkt wiederhergestellt sein wird und wann die Grenzschließungen aufgehoben werden, sodass der grenzüberschreitende Verkehr von Waren und Dienstleistungen zumindest innerhalb Europas wieder uneingeschränkt möglich ist. „Erst wenn sich die Betriebe wieder auf das Funktionieren der internationalen Lieferketten verlassen können, sind sie in der Lage, ihre Produktion, Umsätze, Investitionen und Beschäftigung wieder faktenbasiert zu planen. Erst dann wird eine Erholung der Wirtschaft möglich sein“, so Raab.

Geschäftslage und -erwartungen
Diese Unsicherheiten schlagen sich in den Umfrageergebnissen nieder, die mittelfränkische Wirtschaft beurteilt ihre derzeitige Geschäftslage so schlecht wie nie: Nur noch 16 Prozent der Befragten bezeichnen ihre derzeitige Lage als gut, weitere 32 Prozent sind zufrieden, eine Mehrheit von 52 Prozent schätzt die Lage als schlecht ein. Damit ergibt sich unter dem Strich ein Saldo von minus 36 Punkten. Der Wert liegt um 66 Punkte niedriger als noch vor vier Monaten – ein noch nie dagewesener Absturz. Selbst während der Finanzkrise 2008/2009 war die Fallhöhe von plus 27 auf minus 21 Punkte weniger groß. Die Geschäftserwartungen der mittelfränkischen Betriebe geben nur vereinzelt Anlass zur Hoffnung auf eine rasche Besserung: Über alle Branchen zeigen sich 22 Prozent der Befragten zuversichtlich, 33 Prozent sehen keine Anzeichen für Veränderung, 45 Prozent befürchten in den kommenden Monaten eine weitere Verschlechterung ihrer Geschäftslage. Damit ergibt sich ein Indexwert von minus 23 Punkten. Bei der IHK-Konjunkturumfrage vor vier Monaten hatte die mittelfränkische Wirtschaft noch optimistisch in das Jahr 2020 geblickt, der Wert lag damals bei plus 5 Punkten.

Auch dieser Rückgang wird von den Unternehmen mit konkreten Zahlen untermauert: Mehr als 70 Prozent der Befragten erklärten, die Umsätze in den ersten vier Monaten 2020 seien im Vergleich mit dem entsprechenden Vorjahreszeitraum rückläufig. Jeder sechste Betrieb konnte nicht einmal mehr halb so viele Erlöse verbuchen wie vor einem Jahr. Weniger als 30 Prozent der Betriebe berichten von gestiegenen oder wenigstens in etwa konstanten Umsätzen. Mehr als jeder dritte Betrieb prognostiziert einen Rückgang des Jahresumsatzes um bis zu 25 Prozent, ein weiteres Drittel der Befragten fürchtet sogar noch drastischere Einbrüche.

Konjunkturklima nach Wirtschaftszweigen
Der Absturz der Urteile und Erwartungen zur Geschäftslage erstreckt sich über alle Branchen. Unterschiede im Konjunkturklima nach Wirtschaftsbereichen ergeben sich aus der unmittelbaren Betroffenheit und Dauer von Betriebsschließungen sowie aus dem Ausmaß der internationalen Verflechtung einer Branche.

So sind Produzenten von Vorleistungen nur unterdurchschnittlich von den wirtschaftlichen Corona-Eintrübungen beeinträchtigt. Mit dem Ausmaß der weltweiten Arbeitsteilung innerhalb einer Branche steigt deren Betroffenheit. Bei der ausgeprägt arbeitsteiligen Herstellung von Investitionsgütern fällt es angebotsseitig besonders schwer, Lücken in den Wertschöpfungsketten rasch gleichwertig zu schließen. Zugleich könnten nachfrageseitig Stornierungen von Aufträgen für eher hochwertige Investitionsgüter höhere Liquiditätswirkungen bei den stornierenden Auftraggebern entfalten als etwa bei niedrigerpreisigen Ge- und Verbrauchsgütern.

Ausgeprägt negative Salden und besonders tiefe Abstürze zeigen sich zudem in den Lageurteilen aus allen den Branchen, die frühzeitig von behördlich angeordneten Betriebsschließungen betroffen waren. Für große Teile des Einzelhandels zeichnet sich mit der zwischenzeitlichen Aufhebung des vollständigen Lockdowns eine erste Entspannung der Erlössituation ab, die wenigstens die Liquidität stärkt, wenn auch die Rentabilität vielfach noch nicht erkennbar ist. Noch tiefer als den Einzelhandel haben die Schließungen das Gastgewerbe sowie den gesamten Sektor der personenbezogenen Dienstleistungen einschließlich der Tourismusbranche stürzen lassen. Besonders dämpfend auf die Geschäftserwartungen in diesen Wirtschaftsbereichen wirkt die bis heute unklare Neustart-Perspektive trotz vorliegender und oft mit hoher Umsicht entwickelter Konzepte für die Umsetzung von Hygiene- und Abstandsregeln.

Investitions- und Beschäftigungspläne
Die überaus pessimistischen Erwartungen und der immense Kostendruck in allen Branchen schlagen sich naturgemäß in den unternehmerischen Entscheidungen nieder: Die erleichterten Möglichkeiten zur Anmeldung von Kurzarbeit werden intensiv genutzt. Alle Ausgabenpositionen, die zum Abfluss von Liquidität führen, werden intensiv geprüft und reduziert. Gesamtwirtschaftlich beschleunigt dies die Spirale aus Auftragsstornierungen, Nachfragerückgängen, Investitionsbremsen und Kapazitätsabbau, so dass Wachstum und Beschäftigung weiter gedrückt werden. Besonders belastend für einen Neustart der Wirtschaft erscheint der völlige Investitionsstopp, von dem über ein Drittel der mittelfränkischen Unternehmen berichtet. Dies führt zu einer drastischen Abkühlung des Investitionsklimas in Mittelfranken: Der entsprechende Indexwert stürzte im Vergleich zum Jahreswechsel von plus 13 auf minus 26 Punkte ab – ein Rückgang um 39 Punkte.

Wirksame Wege zum Re-Start
Weil die deutsche – und gerade auch die mittelfränkische Wirtschaft – international stark verflochten ist, kann nicht mit einer schnellen Rückkehr zur Normalität gerechnet werden. Konsumprämien und die Aufhebung von behördlichen Beschränkungen sind zwar wichtige Schritte, sie allein werden aber nicht ausreichen, um für ein nachhaltiges Wachstum zu sorgen. Dies spiegelt sich auch in den Antworten der Unternehmen wider, die deshalb weiterreichende Maßnahmen fordern: Mit Abstand am wichtigsten ist ihnen laut der IHK-Umfrage eine rückwirkende Senkung von Unternehmenssteuern, damit Liquidität und Wettbewerbsfähigkeit gesichert sowie die Rentabilität von Investitionen erhöht werden. Zwei Drittel der Befragten plädieren für diese Maßnahme.

Ein staatliches Investitionsprogramm befürworten 44 Prozent, weil es positiv auf privatwirtschaftliche Aktivitäten ausstrahlen könnte. Beispiele für notwendige staatliche Investitionen seien der Ausbau der digitalen Infrastruktur oder der Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität. Als weitere wünschenswerte wirtschaftspolitische Maßnahmen, die den Re-Start erleichtern könnten, werden genannt: erweiterte Möglichkeiten für steuerliche Verlustvorträge und -rückträge (39 Prozent der Befragten), bessere Abschreibungsmöglichkeiten (35 Prozent), befristete Reduzierung von Mehrwertsteuersätzen (30 Prozent) oder Reduzierung der Strompreise (27 Prozent) sowie ein Moratorium für neue und ein Aussetzen bestehender Regulierungen (22 Prozent).

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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