Corona-Tote ++ Was sagen die Zahlen wirklich?
Unklare Corona-Lage: Gesundheitsämter und Testlabore am Limit

Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI zuletzt 67.186 neue Corona-Fälle innerhalb von 24 Stunden - in etwa so viele wie vor einer Woche.  | Foto: Julian Stratenschulte/dpa
  • Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI zuletzt 67.186 neue Corona-Fälle innerhalb von 24 Stunden - in etwa so viele wie vor einer Woche.
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BERLIN (dpa) - Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Ist die rasante Verschlechterung der Corona-Lage in Deutschland etwa schon gebremst? Einen Hinweis darauf könnte man zumindest aus offiziellen Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) herauslesen.

Demnach ist die Zahl der binnen einer Woche übermittelten Neuinfektionen zuletzt sogar leicht gesunken. Doch die Werte dürften trügerisch sein. Denn sowohl Gesundheitsämter als auch Testlabore sind teils am Limit.

Die offiziellen Zahlen

Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI zuletzt 67.186 neue Corona-Fälle innerhalb von 24 Stunden - in etwa so viele wie vor einer Woche. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz sank zum zweiten Mal in Folge. Das RKI gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Mittwochmorgen mit 442,9 an (Vorwoche: 404,5; Vormonat: 118,0). Am Montag war ein Höchstwert von 452,4 erreicht worden, am Dienstag hatte der Wert leicht darunter bei 452,2 gelegen.

Auch der sogenannte 7-Tage-R-Wert - eine Art Ansteckungsindikator - ist mit 0,89 momentan vergleichsweise niedrig. Ein R-Wert von 0,89 bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 89 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor etwa 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er anhaltend unter 1, sinken die Fallzahlen. Zum Vergleich: Vor einer Woche gab das RKI den Wert noch mit 1,01 an.

Sieht gut aus - ist es aber möglicherweise nicht

Es ist unklar, ob Inzidenz und R-Wert noch den tatsächlichen Infektionstrend widerspiegeln. Denkbar wäre beispielsweise, dass die hohe Zahl positiver Corona-Nachweise das Erfassungs- und Meldesystem ans Limit bringt. Das RKI wollte die aktuellen Inzidenz-Werte auf dpa-Anfrage zunächst nicht kommentieren und verwies auf seinen Wochenbericht am Donnerstagabend. Auffällig ist, dass die vom RKI gemeldeten Inzidenzen im Vergleich zum Vortag in fast allen Bundesländern gesunken sind - und nicht nur in einigen schwer betroffenen. Die Zahl der Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner unterscheidet sich zwischen den Ländern stark: So stand Sachsen am Mittwoch laut RKI-Zahlen bei 1209,4, Schleswig-Holstein bei 153,1.

Überforderte Gesundheitsämter

Viele Gesundheitsämter kommen derzeit beim Bearbeiten von positiven Corona-Nachweisen nicht mehr hinterher. «Ich gehe davon aus, dass die gemeldeten Zahlen nur ein Teil der positiven Nachweise sind», sagte die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Ute Teichert, der Deutschen Presse-Agentur. Die Gesundheitsämter können demnach - mit regionalen Unterschieden - eingehende Meldungen von Corona-Fällen nicht mehr zeitnah weitergeben, eine Untererfassung sei die Folge. Das stellt die Aussagekraft der aktuellen 7-Tage-Inzidenzen infrage.

Die Gesundheitsämter bräuchten mehr Personal angesichts der hohen Infektionszahlen, sagte Teichert. «Da muss jetzt etwas passieren. Ich sage das ja schon lange, aber jetzt ist es an der Zeit, dass noch mal deutlich zu wiederholen.» Auch die Kontaktnachverfolgung und das Anordnen von Quarantäne seien derzeit stark eingeschränkt.

Testlabore am Limit

Der Verband Akkreditierter Labore in der Medizin (ALM) warnte davor, dass Labore in manchen Regionen «schlichtweg an den Grenzen des Leistbaren» seien, was das Auswerten von Corona-Tests angeht. Dazu gehörten Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen. «Die Gefahr besteht, dass bei einer Auslastung nahe oder regional oberhalb der Maximalgrenze schon bei kleineren Ausfällen von Personal oder Geräten die Befundlaufzeiten auf mehrere Tage steigen, was es unbedingt zu vermeiden gilt», sagte Evangelos Kotsopoulos vom ALM-Vorstand am Dienstag. Laut ALM decken die Testkapazitäten zwar den medizinischen Bedarf ab, aber es dürfe keinen «"Verbrauch" für nachrangige Fragestellungen» geben.

Die Lage in den Kliniken

«Von einer Entwarnung kann nicht die Rede sein», sagte Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der dpa. «Unsere eigenen Belegungszahlen zeigen immer noch eine zunehmende Zahl von positiv getesteten Patienten auf den Normal- und Intensivstationen. In dieser Woche befinden sich 16 Prozent mehr Covid-Patienten in den Krankenhäusern als in der Vorwoche und diese Entwicklung verzeichnen wir so seit rund zwei Monaten.» In der aktuellen Lage komme es sowohl bei den Kliniken wie auch bei den Gesundheitsämtern zu Melde-Verzögerungen. Zum Hintergrund: Die tagesaktuellen RKI-Zahlen zur Hospitalisierungsinzidenz - also Klinikeinweisungen pro 100.000 Einwohner und Woche - waren zwischenzeitlich gefallen.

Auf den Intensivstationen steigt die Zahl der behandelten Covid-Patienten weiter steil an. Sie hat sich bei den Erwachsenen innerhalb eines Monats mehr als verdoppelt, auf mehr als 4600. Der Rekordwert wurde am Höhepunkt der zweiten Welle Anfang 2021 mit mehr als 5700 erreicht.

Viele Tote

Die Zahl der binnen eines Tages gemeldeten Corona-Toten hat den höchsten Stand seit neun Monaten erreicht. Die Gesundheitsämter übermittelten dem RKI binnen 24 Stunden 446 Fälle von Menschen, die an oder mit Corona gestorben sind. Ein höherer Wert wurde zuletzt am 20. Februar erreicht (490). Mit Blick auf den aktuellen Wert ist zu bedenken, dass sich die Zahl der Todesfälle verzögert zur Zahl der Neuinfektionen entwickelt, da zwischen Infektion und Tod einige Zeit vergeht. Es dürften also in den kommenden Tagen noch höhere Werte erreicht werden.

Momentan ist die Zahl der täglich übermittelten Corona-Toten noch weniger als halb so groß wie zum Höhepunkt der zweiten Corona-Welle Ende vergangenen Jahres - und das, obwohl es momentan wesentlich mehr Ansteckungen gibt als damals. Experten führen das auf den positiven Effekt der Impfung zurück, die wirksam vor schweren Krankheitsverläufen schützt.

Von Valentin Frimmer, dpa

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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