Generalverdacht frustriert Muslime in Deutschland
Bestimmen Hass und Rassismus zunehmend unsere Gesellschaft?

Blick auf die Ditib-Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib). | Foto: Oliver Berg/dpa
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Von Yuriko Wahl-Immel, dpa
KÖLN/BERLIN (dpa) - Amira ist auf dem Weg zur Kita, um ihre Tochter abzuholen, als ein Mann sie als «Terroristenschlampe» beschimpft, den Kinderwagen umwirft. «Mehrere Personen haben das aus nächster Nähe mitbekommen, sind aber nicht eingeschritten», schildert die 30-Jährige aus Köln.

«Die Attacke war beängstigend, ebenso die Tatsache, dass es keine Zivilcourage gab.» Amira ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist Rassismusforscherin, selbstbewusst, trägt Kopftuch. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sei das Klima rau und feindselig für viele «muslimisch markierte» Menschen geworden, die wegen ihres Äußeren als muslimisch gedeutet und deshalb angefeindet würden. Eine in Berlin aufgewachsene Juristin (29) sagt ähnlich, sie werde beleidigt, angepöbelt, fühle sich nicht mehr sicher.

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) oder auch der Islam-Verband Ditib sprechen von einem Generalverdacht, beklagen Angriffe auf Muslime und Moscheen. Amira und viele ihrer Bekannten spüren das im Alltag deutlich. «Es ist eine rassistisch aufgeladene Veränderung in der Gesellschaft spürbar», beschreibt sie. Amira ist eloquent, schreibt gerade ihre Doktorarbeit - und hört in den vergangenen Wochen immer wieder von Wildfremden, sie solle «erst mal Deutsch lernen» oder sich an «deutsche Regeln» halten. Sie weiß von mehreren «muslimisch markierten» Menschen, die in den letzten Wochen ihre Jobs verloren haben, «weil sie sich irgendwie mitfühlend propalästinensisch geäußert haben».

Was hat sich nach dem 7. Oktober für Muslime verändert?

Viele Muslime haben das Gefühl, dass sich die Situation nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA nun für sie wiederhole, sagt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung. «Auch damals hat man Druck aufgebaut und von Musliminnen und Muslimen in Deutschland gefordert, sich zu positionieren.» In der Gesamtbevölkerung gehe der Blick auf die Muslime nun wieder reflexartig auf ihre vermeintlichen Herkunftsländer, als seien sie deren Stellvertreter und quasi mitverantwortlich für dortige Ereignisse und Taten. «Ich erlebe da eine große Frustration.» Im aktuellen Nahost-Konflikt sehe sie unter den Muslimen hierzulande viel Mitgefühl und tiefe Verbundenheit mit der Bevölkerung auf beiden Seiten.

ZMD-Chef Aiman Mazyek berichtet, Kinder und Jugendliche aus den muslimischen Communities fühlten sich in den Schulen mitunter stigmatisiert. In Einzelfällen habe es «Gesinnungstests» in Schulen gegeben. Darin sei die Haltung von Schülern mit muslimischem Hintergrund zum Nahostkonflikt und zur Hamas abgefragt worden. Es werde versucht, auch die Einstellung der Eltern auszuhorchen - das sei inakzeptabel. Und er stellt klar: «Antisemitismus ist eine Sünde im Islam.» In Deutschland leben 5,5 Millionen Muslime, unter den Bundesländern besonders viele in Nordrhein-Westfalen.

Woher kommen solche pauschale Unterstellungen?

El-Menouar zufolge besteht schon seit langem eine große Skepsis gegenüber Muslimen und ihrer Religion. «Der Islam wird weniger als Religion gesehen, sondern in der Nähe von Islamismus und Terror verortet. Muslimen wird unterstellt, dass sie religiös begründeten Extremismus und Terror akzeptieren.» Islamverbände hätten den Hamas-Terror mehrfach verurteilt, seien vehement für ein sicheres jüdisches Leben eingetreten und würden doch immer wieder an den Pranger gestellt, kritisiert Islamwissenschaftler Jörn Thielmann. «Viele Muslime sind deutsche Staatsbürger, sind hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und sollen sich jetzt rechtfertigen für etwas, wofür sie genauso wenig können wie der katholische Herr Müller oder die evangelische Frau Meyer.»

Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Vor allem bei jüngeren Muslimen sei zu befürchten, dass es längerfristige Folgen haben werde, wenn sie sich stigmatisiert und gekränkt fühlten, sie zu Unrecht als «Terroristen-Versteher oder Terroristen-Sympathisanten gelabelt» würden, glaubt Thielmann. Von einer gesellschaftlichen Spaltung spricht Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien. Diese komme «in einem immer unverhohlener grassierendem Antisemitismus, aber auch in Muslimfeindlichkeit zum Ausdruck». Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte jüngst für ein friedliches Zusammenleben ohne Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit zu einem Runden Tisch geladen.

Mazyek warnt, gerade bei den Jüngeren könne der Generalverdacht zu einer besorgniserregenden Entfremdung führen. Einige könnten in die Fänge von Extremisten geraten. Amira schildert, es komme gegen sie und viele ihrer Bekannten zu «Mikro-Aggressionen» - ausgrenzende, abwertende Äußerungen oder Rempeleien. «Wir arbeiten hier, ziehen unsere Kinder groß, gestalten die Gesellschaft mit - und doch wird jetzt vermehrt unsere Zugehörigkeit in Frage gestellt.» Und die Berlinerin sagt: «Ich habe das Gefühl, einen großen Teil dessen, was meine Identität ausmacht, nämlich palästinensisch zu sein, verbergen zu müssen, aus Angst vor negativen Reaktionen und Konsequenzen.»

Ein differenzierter Blick wird gefordert

Auch unter Muslimen gibt es radikale Einstellungen und Israel-bezogenen Antisemitismus, weiß El-Menouar. Aber: «Wir haben Antisemitismus in Deutschland, der sich quer durch die Gesellschaft zieht, und auch ein Problem in der muslimischen Community ist. Nur diese Gruppe herauszugreifen, wäre falsch und führt zu weiterer Spaltung.» Einige Kundgebungen würden von Islamisten geschickt für ihre Zwecke instrumentalisiert. Auch von Muslimen habe man islamistische Parolen gehört, seien Hamas-Angriffe lautstark begrüßt worden, ergänzt Thielmann. «Die Islamverbände in Deutschland treten dagegen strikt auf.»

Verbale Attacken, Aggressivität, Abgestempeltwerden - das mache mürbe, sagt die palästinensisch-stämmige Berliner Juristin. Deutschland sei ihre Heimat, aber: «Tatsächlich denke ich erstmals ernsthaft darüber nach, das Land zu verlassen und auszuwandern. Und so geht es nicht nur mir.»

Autor:

Victor Schlampp aus Schwabach

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