Lauterbach hat auch gute Botschaften
Deutschland steht vor der nächsten Corona-Welle
BERLIN (dpa) -– Deutschland steht nach Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor der nächsten Corona-Welle. Der SPD-Politiker rief zu Vorsichtsmaßnahmen und Impfungen auf, zeigte sich aber mit Blick auf die kommenden Monate auch zuversichtlich. «Wir befinden uns ganz klar am Beginn einer Herbst- und Winterwelle», sagte Lauterbach. Er versicherte zugleich: «Wir werden die Welle im Griff haben». Deutschland sei besser vorbereitet als im vergangenen Herbst.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, äußerte sich bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Gesundheitsminister ähnlich. Er rief zur Wach- und Achtsamkeit auf, sagte aber auch, er habe «eigentlich keine riesige Sorge».
Momentan besonders viele Infekte
Wieler zufolge gibt es aktuell generell einen besonders starken Anstieg bei akuten Atemwegserkrankungen im Vergleich zu anderen Jahren. Dafür gebe es eine Reihe von Gründen. «Es gibt tatsächlich Hinweise, dass es auch ein Nachholeffekt sein kann», sagte Wieler. Man habe so effektiv geschützt in den vergangenen zwei Jahren, dass es möglich sei, dass eine gewisse Immunitätslücke entstanden sei. Er verwies aber darauf, dass durch die Corona-Schutzmaßnahmen Menschenleben gerettet worden seien.
Die meisten Infekte werden seinen Angaben zufolge momentan durch Schnupfenviren hervorgerufen, an der zweiten Stelle kommt demnach Corona vor anderen Viren wie der Grippe. Die bundesweite Zahl der Corona-Neuansteckungen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gab das RKI zuletzt mit 466 an, ein deutlicher Anstieg zur Vorwoche (294,7). Da unklar ist, wie viele Leute sich überhaupt noch testen lassen, wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Nur positive PCR-Tests zählen in der Statistik.
«Deutschland nicht schlauer, sondern vorsichtiger»
Lauterbach appellierte an die Bundesländer, die Entwicklung genau im Auge zu behalten, um den richtigen Zeitpunkt für Gegenmaßnahmen zu finden. Das können die Länder in Eigenregie entscheiden: Im Oktober treten neue Bestimmungen in Kraft, wonach die Länder beispielsweise auch wieder Maskenpflichten in Innenräumen anordnen könnten.
Die Corona-Regeln hierzulande bezeichnet der Gesundheitsminister als besonders streng im europäischen Vergleich. «Deutschland ist nicht schlauer, sondern vorsichtiger», sagte er auf Nachfrage dazu. Man sei gemessen an der Zahl der an Covid gestorbenen Menschen bisher relativ gut durch die Pandemie gekommen. Es gehe darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur zu verhindern. «Wir wollen erreichen, dass die Corona-Krise nicht noch die Gaskrise verschlimmert, indem wir massenhaft Ausfälle an den Arbeitsplätzen haben.»
Isolationspflicht und «gute Botschaften»
Um solche Ausfälle zu verhindern, hatten einige Bundesländer auch gefordert, die fünftägige Isolationspflicht bei Corona aufzuheben und nach dem Motto «wer krank ist, bleibt zu Hause» zu verfahren. An der Isolationspflicht will Lauterbach aber nicht rütteln. «Ich sehe keinen Sinn darin, dass wir das Infektionsgeschehen jetzt noch befeuern. Wir sehen ja schon stark steigende Fallzahlen.»
Der SPD-Politiker, der oft als Corona-Mahner und -Warner kritisiert und von Gegnern auch beschimpft und bedroht wurde, schlug mit Blick auf den Herbst und Winter optimistischere Töne an, als sonst: «Ich warne nicht gerne, sondern ich verkünde gerne gute Botschaften, und die gute Botschaft ist hier, wie sind besser vorbereitet als im letzten Herbst.» Man habe das gut im Griff. Corona werde nicht in den Vordergrund rücken.
Der Minister warb erneut für eine vierte Impfung speziell für Menschen ab 60. Diese reduziere die Sterblichkeit noch einmal um 90 Prozent, sagte er unter Berufung auf Daten der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC. «Es macht für ältere Menschen einen Riesenunterschied, ob man dreimal geimpft ist oder ob man viermal geimpft ist.»
Corona-Lage in Kliniken stabil
Eine wichtige Kennziffer zur Lagebeurteilung ist die Zahl schwerer Corona-Fälle. Dem aktuellen RKI-Wochenbericht zufolge, «kam es in den letzten Wochen zu einer Stabilisierung der Zahl der Fälle, die mit einer schweren akuten Atemwegsinfektion und Covid-19-Diagnose im Krankenhaus behandelt wurden».
Es bleibe dabei, dass sich viele der Infektionen als nicht schwer verlaufend darstellten, sagte Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie der Deutschen Presse-Agentur. Der Virologe Hendrik Streeck verwies auf Hunderttausende Corona-Infektionen in diesem Sommer, «mit einer Dunkelziffer, wo wir wahrscheinlich im Millionenbereich waren». Trotzdem habe man das nicht in diesem Maße in den Krankenhäusern gespürt.
Zeeb erwartet zwar wieder zunehmende Krankenhausbehandlungen und steigende Todesfallzahlen, «die vor allem bestimmte Gruppen betreffen werden». Eine Überlastung des Gesundheitssystems sieht er «eher nicht». Den aktuell starken Anstieg der Corona-Zahlen nannte der Epidemiologe «bedrohlich, aber nicht vergleichbar mit Zeiten, als wir als Bevölkerung noch weitgehend ungeschützt waren.»
Bürger sehen für sich mehrheitlich keine Gefahr
Die Zahl der Bürger, die ihre Gesundheit durch Corona gefährdet sehen, pendelt sich laut «ZDF-Politbarometer» auf niedrigem Niveau ein. Aktuell befürchten das demnach 30 Prozent, 59 Prozent sehen für sich keine Gefährdung. «Die Menschen machen sich Sorgen, ob sie ihren Kühlschrank füllen können und ob sie im Winter im Warmen sind. Wir können nach zweieinhalb Jahren gut mit Corona umgehen», sagte Streeck und verwies auf Medikamente, eine hohe Immunität in der Bevölkerung und angepasste Impfstoffe für Hochrisikogruppen. «Corona sollte jetzt nicht mehr zu den Sorgen der Menschen beitragen.»
Von Jörg Ratzsch, dpa
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