Flutkatastrophe Ahrtal mit 136 Toten
Ermittlungen eingestellt: "Beachtliche Mängel, keine Strafbarkeit"

«Wir wissen, wie viel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat und wie viele traumatisiert zurückgeblieben sind»: der leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler.  | Foto: Thomas Frey/dpa
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KOBLENZ (dpa) - Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat die Ermittlungen zur tödlichen Flutkatastrophe im Ahrtal eingestellt. Ein hinreichender Tatverdacht gegen den ehemaligen Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen Mitarbeiter aus dem Krisenstab habe sich nicht ergeben, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler.

Meterhoch türmen sich im Juli 2021 wenige Tage nach der Flutkatastrophe Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über die Ahr in Altenahr-Kreuzberg.  | Foto: Boris Roessler/dpa
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Es stand der Vorwurf im Raum, dass der Landkreis Ahrweiler mit Pföhler an der Spitze womöglich zu spät vor der Flutkatastrophe im Juli 2021 im Ahrtal gewarnt hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte mehr als zweieinhalb Jahre wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 135 Fällen und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Pföhler hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Auch der Mitarbeiter hatte zuvor über seinen Anwalt bestritten, sich strafbar gemacht zu haben.

Bei der Flutkatastrophe waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben, davon 135 in der Ahr-Region und eine Person im Raum Trier. Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült. Ein Mensch gilt zudem weiterhin als vermisst.

Staatsanwälte: «Beachtliche Mängel» - aber keine Strafbarkeit

Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises Ahrweiler nicht konkret vorhersehbar gewesen sei. «Die Flut 2021 hat alles, was die Menschen zuvor erlebt haben, weit übertroffen und war für Anwohner, Betroffene, Einsatzkräfte und Einsatzverantwortliche gleichermaßen subjektiv unvorstellbar», teilte die Behörde mit.

Zwar sei der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler unzureichend organisiert gewesen, und das Führungssystem des Katastrophenschutzes habe eine ganze Reihe von Mängeln aufgewiesen. «Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie der politisch und administrativ gesamtverantwortliche ehemalige Landrat.» Diese «durchaus beachtlichen Mängel», die ein Gutachter festgestellt hat, begründeten aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber keine Strafbarkeit.

«Uns ist bewusst, dass die Ahrflut unsägliches Leid über die Menschen im Ahrtal gebracht hat. Wir wissen, wie viel die Menschen dort mitgemacht haben und immer noch mitmachen. Wir wissen, wie viel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat und wie viele traumatisiert zurückgeblieben sind», sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Mannweiler. Er sprach den Hinterbliebenen und Opfern der Flutkatastrophe sein tiefes Mitgefühl aus.

Ermittler: Können nicht über charakterliches Versagen befinden

Dennoch sei es bei den Ermittlungen um eine rein strafrechtliche Aufarbeitung gegangen. «Es geht die individuelle Schuld des Einzelnen. Wir haben nicht die Aufgabe, eine Naturkatastrophe als solche aufzuarbeiten, auch nicht das Katastrophenschutzsystem in seiner Gesamtheit», erläuterte Mannweiler. Die Ermittler hätten sich freimachen müssen von Emotionen, was angesichts des Ausmaßes der Katastrophe und des dadurch ausgelösten menschlichen Leids schwierig gewesen sei.

«Die Staatsanwaltschaft hat nicht darüber zu befinden, ob im vorliegenden Fall jemand charakterlich versagt hat», sagte Mannweiler. Es sei auch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, politische Verantwortung zu bewerten oder ein moralisches Werturteil zu fällen. «Ob jemand in einer Krise standhaft ist, Haltung bewahrt, Verantwortung übernimmt, führungsstark ist, Aufopferungsbereitschaft zeigt, eine Leuchtturmfunktion für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, das ist eine Frage des Charakters und der Persönlichkeit.»

Hunderte Zeugenbefragungen und ein Berg an Daten

Die Ermittlungen hatten sich lange hingezogen, auch weil sie eine bisher nicht gekannte Dimension hatten. Sie seien von erheblichen Herausforderungen geprägt gewesen, sagte der Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz, Mario Germano. «Nämlich Ermittlungen in einem von der Naturkatastrophe gezeichneten und teilweise zerstörten Gebiet zu führen. Die Menschen, die wir vernehmen mussten, waren zum Teil stark traumatisiert.»

Mehr als 300 Zeugen wurden demnach vernommen. Dabei habe es sich vor allem um Mitarbeiter von Feuerwehren und Kommunen oder um Betroffene der Flut gehandelt, sagte Germano. Das Gros der Vernehmungen sei bis zum Frühjahr 2022 abgeschlossen gewesen. Mehr als 20 Terabyte an digitalen Daten seien gesichert und ausgewertet worden, mehr als 300 Gigabyte seien potenziell verfahrensrelevant gewesen.

Es habe außerdem viele Durchsuchungen gegeben, umfangreiches Schriftgut und digitale Beweismittel wurde sichergestellt. Für den Zeitraum der Flut vom 14. bis 15. Juli seien bei Leitstellen der Feuerwehr und Polizei 15.500 Notrufe gesichert worden, im Katastrophengebiet hätten Ermittler im relevanten Zeitraum 11.000 Notrufe herausgefiltert und ausgewertet. Davon waren 6200 für das Ermittlungsverfahren von Interesse. Hierbei waren alle Notrufe im Fokus, die unmittelbar mit dem Flutgeschehen in Verbindung standen, sagte Germano.

Bereits im August 2021 hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen Pföhler eingeleitet hat. Der damalige Landrat war seit August 2021 krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst und wurde im Oktober 2021 schließlich auf eigenen Antrag wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Der Abschluss der Ermittlungen war mehrfach verschoben worden, unter anderem, weil die Staatsanwaltschaft das Ergebnis des Untersuchungsausschusses im rheinland-pfälzischen Landtag abwarten wollte.

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Meterhoch türmen sich im Juli 2021 wenige Tage nach der Flutkatastrophe Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über die Ahr in Altenahr-Kreuzberg.  | Foto: Boris Roessler/dpa
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Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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