Anfeindungen in Corona-Pandemie noch verstärkt
Hälfte der Kommunalpolitiker bedroht!
ERFURT (dpa) - Jeder zweite Kommunalpolitiker in Deutschland ist nach Angaben des Deutschen Städtetags schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden.
Jeder Fünfte habe bereits über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht, aus Sorge um die eigene oder die Sicherheit seiner Familie, sagte der Präsident des Städtetages, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), am Mittwoch in Erfurt. Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die per Video auf der Hauptversammlung der Vertretung von etwa 3200 Städten und Gemeinden sprach, zeigte sich besorgt.
Merkel kritisierte die Zunahme von Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker. Umso mehr Anerkennung verdiene die tägliche Arbeit der Bürgermeister und Oberbürgermeister in Deutschland. Gerade in der Corona-Pandemie, bei der Deutschland derzeit in einer sehr, sehr schwierigen Zeit stecke, seien die Kommunen enorm gefordert. Ihre Gesundheitsämter seien «die Schaltstellen der Pandemiebekämpfung vor Ort», sagte Merkel.
Mit Blick auf Forderungen der Städte in zweistelliger Milliardenhöhe an den Bund für Klimaschutz, sozialen Wohnungsbau und Innenstadtbelebung plädierte die scheidende Bundeskanzlerin für eine stabile Finanzierung der Kommunen. «Handlungsfähige Städte sind der Grundstock unseres Landes.»
Jung sagte am Rand der Hauptversammlung, die Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker hätten sich in der Corona-Pandemie noch verstärkt. Viele seiner Kollegen hätten darüber lange nicht gesprochen. Nach einer Änderung im Strafgesetzbuch würden aber mehr Bedrohungen und Beleidigungen angezeigt und von den Staatsanwaltschaften verfolgt.
Meinungsfreiheit höre auf, wo gehetzt, Hass gesät, verleumdet oder Menschen anderer Kultur oder Religion anfeindet würden, sagte der Städtetagspräsident. «Unser Gemeinwohl ist in Gefahr, wenn sich Menschen nicht mehr engagieren wollen im Rat, bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Elterncáfe für Migranten oder im Verein.»
Klärung angemahnt
Merkel mahnte in ihrer Rede dringende Klärungen zur Eindämmung der Corona-Infektionen bei der Bund-Länder-Beratung am Donnerstag an. «Die vierte Welle trifft unser Land mit voller Wucht.» Sie sei in tiefer Sorge über die Lage in einigen Bundesländern. Der Städtetag forderte eine schnelle gesetzliche Impfpflicht für Beschäftigte an Schulen, Kitas, im Gesundheits- und Pflegebereich und eine bundesweit geltende 2G-Regel im Freizeit- und Kulturbereich. Er plädierte dafür, die epidemische Lage von nationaler Tragweite über den 25. November hinaus zu verlängern.
Zudem machten die Bürgermeister einen Forderungskatalog an die künftige Ampel-Koalition auf. Verlangt wurde unter anderem mehr Unterstützung des Bundes, um die Verödung vieler Innenstädte zu stoppen. Es sei gut, dass es das Programm für zukunftsfähige Innenstädte gebe. «Einmalig 250 Millionen Euro reichen aber nicht», sagte Jung. «Wir brauchen 500 Millionen Euro pro Jahr über die nächsten fünf Jahre.»
Bekräftigt wurde die Forderung nach einem zweistelligen Milliardenbetrag für Klimaschutz-Investitionen in den Kommunen und eine Aufstockung der Bundesmittel für Busse und Bahnen um jährlich 1,5 Milliarden Euro. Zudem müsse der Schwund bei Sozialwohnungen gestoppt werden.
Am Donnerstag soll es einen Wechsel an der Spitze des Städtetags geben. Jung wird nach Angaben einer Verbandssprecherin nach mehr als zwei Jahren an der Spitze als Vizepräsident kandidieren, sein Stellvertreter, der Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe (CDU), als Präsident.
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