Charkiw schwer getroffen
Moskau: Großstadt Cherson unter russischer Kontrolle
CHERSON (dpa/nf) - Das russische Militär hat eigenen Angaben zufolge die volle Kontrolle über die seit Tagen umkämpfte südukrainische Großstadt Cherson erlangt. «Russische Einheiten der Streitkräfte haben das Zentrum der Region Cherson vollständig unter ihre Kontrolle gebracht», so der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Eine unabhängige Überprüfung der Vorgänge (auch in Bildern) ist momentan nicht möglich.
Von ukrainischer Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung. Es wäre die erste ukrainische Gebietshauptstadt, die russische Truppen seit Ausbruch des Krieges unter ihre Kontrolle gebracht haben.
Ukrainische Medien hatten zuvor von Kämpfen in der Stadt mit etwa 280.000 Einwohnern berichtet. Der Berater des Innenministeriums, Anton Heraschtschenko, sprach von zahlreichen toten Zivilisten, die Cherson unter anderem mit sogenannten Molotow-Cocktails verteidigt hätten.
Die Stadt an der Mündung des Flusses Dnipro war örtlichen Berichten nach eingekesselt. Von der Stadtverwaltung hieß es zudem, russische Soldaten hätten den Hafen und den Bahnhof übernommen. Es habe zahlreiche Tote und Verletzte unter ukrainischen Soldaten und Zivilisten gegeben.
Tote in Charkiw
Im ostukrainischen Charkiw, der zweitgrößten Stadt des Landes, sind bei schweren russischen Angriffen nach ukrainischen Angaben mindestens 21 Menschen getötet worden. 112 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte der Chef der Gebietsverwaltung, Oleh Synjehubow. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Gestern hatte das ukrainische Außenministerium bei Twitter ein Video veröffentlicht, das einen Raketeneinschlag direkt auf dem zentralen Freiheitsplatz zeigen soll.
In der Nacht gab es erneut Berichte über schweren Beschuss. Ziel war nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums unter anderem ein Polizeigebäude. Dabei wurden nach Angaben des örtlichen Zivilschutzes erneut Wohnhäuser getroffen.
Gebietschef Synjehubow schrieb, nachts habe es Luftangriffe gegeben, mehrere Feuer seien ausgebrochen. Am Boden hätten die ukrainischen Kräfte dem russischen Angriff standgehalten. «Alle Attacken wurden zurückgeschlagen, der russische Feind erlitt erhebliche Verluste», so Synjehubow.
Tote auch bei Luftangriff in der Großstadt Schytomyr
Bei einem Luftangriff in der Großstadt Schytomyr rund 140 Kilometer westlich von Kiew wurden nach Angaben der Behörden zwei Menschen getötet und zehn verletzt. Der Angriff galt demnach der 95. Brigade der ukrainischen Armee. Vermutlich Marschflugkörper des russischen Typs Kalibr hätten mehrere Gebäude beschädigt. Die Angaben zu den Kampfhandlungen ließen sich nicht von unabhängiger Seite überprüfen.
Sowohl Moskau als auch Kiew berichten von weiteren Erfolgen. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, die Angriffe auf die militärische Infrastruktur der Ukraine seien fortgesetzt worden. Gegen Geheimdienst-Einrichtungen in Kiew seien «hochpräzise Waffen» eingesetzt worden. Die Hardware-Übertragung des Fernsehturms sei nun deaktiviert.
Russische Truppen sollen eigenen Angaben zufolge mehr als 1500 ukrainische Militärobjekte, darunter insgesamt 58 Flugzeuge am Boden und in der Luft sowie mehr als 470 Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge zerstört haben. Zu eigenen Verlusten machten weder Moskau noch Kiew Angaben. Unabhängig können die Berichte nicht überprüft werden.
Beschuldigungen und Beschimpfungen
Das ukrainische Verteidigungsministerium teilte mit, mehr als 5840 russische Soldaten seien getötet worden. Mehr als 200 Panzer, 860 weitere militärische Fahrzeuge, 30 Flugzeuge und 31 Hubschrauber seien seit Kriegsbeginn zerstört worden. Das Ministerium warf Russland schwere Kriegsverbrechen vor. «Flugzeug- und Raketenangriffe von Russland und Belarus aus auf zivile Gebäude und Schulen, Beschuss von Entbindungsstationen - das ist feiges Verhalten von denjenigen, die keine Ehre haben», hieß es. «Dies sind keine Militärs, sondern Terroristen, Vertreter eines terroristischen Staates.» Moskau dementiert vehement, Zivilisten und Wohngegenden zu attackieren.
Bundeswehr-Experte rechnet mit Guerillakrieg
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, rechnet mit einem Guerillakrieg in den ukrainischen Städten. «In den Städten selbst, im Orts- und Häuserkampf, da sind natürlich Kräfte, wie sie die Ukraine hat, mit ihren Panzerfäusten und mehr überlegen», sagte der Oberstleutnant im ARD-«Morgenmagazin». Eine solche Aussicht könne Putin allerdings dazu bringen, «mit Feuerwalzen über diese Städte herzufallen». Er gehe fest davon aus, dass Putin seine Angriffsbewegungen verstärke und es in den nächsten Tagen bittere Kämpfe geben werde.
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