Zeitfaktor Corona-Kontrollen
Ohne digitale Dokumente droht Chaos an Flughäfen

Foto: Boris Roessler/dpa/Symbolbild

BOSTEN (dpa) - Die Luftfahrtbranche warnt vor Chaos an den Flughäfen, wenn der Verkehr ohne digitale Verfahren für Corona-Tests und andere Dokumente wieder in Gang kommt.

Vor der Pandemie hätten Reisende vor Abflug und nach der Ankunft im Schnitt eineinhalb Stunden in den Flughäfen verbracht, sagte der Vizechef des Branchenverbands IATA, Conrad Clifford, bei der Jahrestagung in Boston. Im ersten Halbjahr dieses Jahres habe es in Spitzenzeiten aber bereits bis zu drei Stunden gedauert. «Und das Reiseaufkommen war gerade einmal bei 30 Prozent der Dimensionen vor Covid.»

Entsprechend könnten die Wartezeiten weiter anwachsen, wenn immer mehr Menschen zum Flughafen kämen. «Unsere Modelle sagen vorher, dass man ohne Verbesserungen bei den Prozessen fünfeinhalb Stunden pro Reise an Flughäfen verbringen könnte» - bei 75 Prozent des Reisevolumens vor der Pandemie. Wenn so viele Passagiere wie früher flögen, seien bis zu acht Stunden möglich. Neben dem zusätzlichen Aufwand für die Kontrolle von Corona-Tests seien längere Schlangen bei Passkontrollen bei der Ankunft das Problem.

Die Lösung sieht die IATA in einem bei ihr entwickelten digitalen «Travel Pass». Die Grundidee ist, dass Passagiere Formalitäten und Kontrollen online per App erledigen können - bevor sie zum Flughafen fahren. Bisher haben 76 Gesellschaften das Verfahren auf 286 Strecken getestet. Für die Einführung müsse sich aber jedes Unternehmen einzeln entscheiden, hieß es.

Klimaschutz als weitere Herausforderung

Die Konzernchefs versammelten sich in Boston zu ihrer ersten Jahrestagung seit Ausbruch der Krise zu einem wichtigen Zeitpunkt. Der Luftverkehr ist dabei, sich vom tiefsten Einbruch seiner Geschichte zu erholen. Die internationalen Flugreisen sind auf gut einem Fünftel des Vor-Corona-Niveaus. Viele Gesellschaften schreiben Verluste. Zugleich kommt die Branche nicht umhin, Weichen beim Klimaschutz zu stellen. Trotz einigen Murrens aus China gab die IATA das Ziel aus, bis 2050 klimaneutral zu fliegen.

Weil Flugzeuge Kerosin verbrennen, wirkt das schon als Herausforderung. Hinzukommt, dass die Branche mit einem munteren Anstieg des Reiseverkehrs rechnet: von verhältnismäßig mageren gut zwei Milliarden Passagieren 2021 auf 5,6 Milliarden 2030 und über 10 Milliarden 2050. Bei heutigen Werten müsste die Branche dann für eine neutrale Klimabilanz 1,8 Gigatonnen CO2 ausgleichen, rechnete der IATA-Verantwortliche Sebastian Mikosz vor.

Die kurzfristige Lösung heißt nachhaltig produzierter Treibstoff. Prognosen zufolge sollen damit nahezu zwei Drittel der Einsparungen erzielt werden. Doch die Kapazitäten sind gering. «Der gesamte nachhaltig produzierte Treibstoff auf der Welt würde uns jetzt für fünf Tage reichen», gab Lufthansa-Chef Carsten Spohr in Boston zu Bedenken. Emirates-Chef Tim Clark verwies darauf, dass solcher Treibstoff zurzeit zwei- bis dreimal soviel kostet wie herkömmliches Kerosin.

Unter anderem mit staatlichem Engagement soll sich das ändern. So wollen die USA 2050 genug nachhaltigen Treibstoff für den gesamten Bedarf der einheimischen Fluggesellschaften herstellen, betonte Annie Petsonk vom US-Verkehrsministerium. Doch auch hier gibt es Nuancen: So versicherte United-Chef Scott Kirby, sein Unternehmen werde keinen nachhaltigen Treibstoff verwenden, der aus Lebensmitteln wie Soja oder Getreide gewonnen wird.

Zukunft Wasserstoff?

Und auch wenn ein Flugzeug nachhaltig hergestellten Treibstoff verbrennt, wird immer noch CO2 ausgestoßen. Aber durch die klimafreundliche Produktion sollen dabei unterm Strich 80 Prozent weniger zusätzlich in die Umwelt kommen. Auf lange Sicht müsse die CO2-Bilanz durch andere Maßnahmen verbessert werden, betonten viele Redner auf der Tagung. Dazu gehören das Herausziehen des Klimakillers aus der Luft oder neue Antriebstechnologien.

Airbus setzt große Hoffnungen in Wasserstoff, wie Konzernchef Guillaume Faury betonte. Er zeigte sich zuversichtlich, bis 2035 ein mit Wasserstoff betriebenes Flugzeug haben zu können. Der beim Konkurrenten Boeing für die Passagiersparte zuständige Stanley Deal erinnerte an die Herausforderungen der Wasserstoff-Antriebe. Unter anderen müsse man 18 Prozent mehr Treibstoff-Volumen mitnehmen und ihn auch noch auf minus 250 Grad Celsius kühlen.

Wegen der Klimaziele muss viel investiert werden - und das, nachdem der Verband Gesamtverluste von gut 200 Milliarden Dollar durch die Pandemie prognostizierte. Aber der Preis der Tatenlosigkeit könne für die Branche noch höher sein, gab IATA-Verwaltungsratschef Robin Hayes zu bedenken.

Von Andrej Sokolow, dpa

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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