Wer hat den Staudamm zerstört?
Schwere Überschwemmungen: 150 Tonnen Maschinenöl fießen in den Fluss Dnipro

Dieses von Maxar Technologies über AP zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt den Kachowka-Staudamm.  | Foto: Uncredited/Maxar Technologies/AP/dpa
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NOWA KACHOWKA  (dpa/nf) - Im von Russland besetzten Teil des südukrainischen Gebiets Cherson sind ein wichtiger Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk zerstört worden. Befürchtet werden schwere Überschwemmungen.

Das vom ukrainischen Präsidialamt über AP veröffentlichte Videostandbild zeigt Wasser, das durch einen Durchbruch im Kachowka-Staudamm fließt.  | Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Office/AP/dpa
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Nach ukrainischen Angaben sind in der «kritischen Zone» rund um die Anlage nahe der Stadt Nowa Kachowka etwa 16.000 Menschen zu Hause. Kiew und Moskau beschuldigten sich gegenseitig, für die Sprengung verantwortlich zu sein. Spekuliert wurde, dass der Vorfall ein russischer Sabotageakt sein könnte, um eine ukrainische Gegenoffensive auszubremsen.

Durch die Sprengung gelangten nach Angaben der ukrainischen Führung außerdem mindestens 150 Tonnen Maschinenöl in den Fluss Dnipro. 300 weitere Tonnen Öl drohten noch auszulaufen, hieß es am Rande einer von Präsident Wolodymyr Selenskyj einberufenen Sitzung des nationalen Sicherheitsrats. Der Gouverneur des Verwaltungsgebiete Cherson, Olexander Prokudin, berichtete von acht ganz oder teilweise überfluteten Ortschaften. 

Ukraine beschuldigt Russland - Moskau dementiert

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte «russische Terroristen» für die Sprengung des Damms verantwortlich. Auf Internet-Videos war zu sehen, wie große Wassermassen aus der Mauer strömten.

Präsidentenberater Mychajlo Podoljak schrieb auf Twitter, Russland habe offensichtlich das Ziel, unüberwindbare Hindernisse für die geplante ukrainische Großoffensive zu schaffen. Dies sei der Versuch, das Ende des Krieges hinauszuzögern und ein vorsätzliches Verbrechen.

Die Ukraine warf Russland auch vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen wegen der Zerstörung des Staudamms Staatsterrorismus vor. Der ukrainische Sonderbotschafter Anton Korynevych sprach vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag von einem gezielten Anschlag, der die Sicherheit der Bevölkerung bedrohe und zu schweren Umweltschäden führen könne. «Russlands Taten sind die eines terroristischen Staates.»

Entgegen den Berichten aus Kiew beschuldigte der Kreml die Ukraine. «Wir erklären offiziell, dass es sich hier eindeutig um eine vorsätzliche Sabotage der ukrainischen Seite handelt, die auf Befehl (...) des Kiewer Regimes geplant und ausgeführt wurde», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Präsident Wladimir Putin werde über alle Entwicklungen informiert, sagte Peskow. Die Angaben beider Seiten lassen sich noch nicht unabhängig überprüfen.

Der russische Besatzungschef von Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, räumte ein, dass es auch zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kommen könnte, südlich von Cherson. Diese wird mit Wasser aus dem Kachowka-Stausee beliefert.

In Nowa Kachowka riefen die russischen Besatzer inzwischen den Notstand aus. Das Wasser sei bereits um zwölf Meter angestiegen, sagte Leontjew im russischen Staatsfernsehen. «Die Stadt ist überflutet.» Auch das an den Staudamm angrenzende und völlig zerstörte Kraftwerk stehe unter Wasser. Auf der russisch besetzten Seite des Flusses Dnipro sind Leontjews Aussagen zufolge insgesamt 600 Häuser in drei Ortschaften von den schweren Überschwemmungen betroffen.

Das ukrainische Militär begann auf der rechten Seite des Flusses Dnipro - wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt - mit Evakuierungen.

Angrenzendes Wasserkraftwerk komplett zerstört

Der Staudamm wurde Mitte der 1950er Jahre in Betrieb genommen. Er ist am Lauf des Dnipro die sechste und letzte Staustufe vor dem Schwarzen Meer. Die Anlage macht den flachen Strom schiffbar. Sie staut das Wasser auf 200 Kilometer Länge zwischen Saporischschja und Nowa Kachowka und hält etwa 18 Milliarden Kubikmeter Wasser. Aus dem Reservoir wurden weite Regionen im Süden bis hin zur Krim bewässert.

Außerdem wurde Strom erzeugt mit einem Wasserkraftwerk, das nach Betreiberangaben 334 Megawatt Leistung hat. Weil es im Süden der Ukraine kaum Querungen über den Dnipro gibt, verliefen auch eine Straße und eine Bahnlinie über den Staudamm. Sie waren aber bereits nach Kämpfen im Herbst vergangenen Jahres kaum noch nutzbar.

Das an den Staudamm angrenzende Wasserkraftwerk wurde beiden Seiten zufolge zerstört. Besatzungschef Leontjew sagte, es sei «offensichtlich», dass das Kraftwerk nicht mehr repariert werden könne. Der ukrainische Betreiber der Anlage sprach von kompletter Zerstörung.

Gefahr für AKW Saporischschja?

Für das nordöstlich gelegene Atomkraftwerk Saporischschja droht nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) keine unmittelbare Gefahr. «IAEA-Experten am Atomkraftwerk Saporischschja beobachten die Situation genau», teilte die Behörde mit. Ein Sprecher des russischen Atomkonzerns Rosenergoatom sagte der Agentur Interfax ebenfalls, das AKW am Fluss Dnipro sei nicht betroffen. Die Atom-Anlage ist von russischen Truppen besetzt.

Sprengung oder Beschuss?

Ohne schlüssige Beweise beschuldigten sowohl Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, EU-Ratspräsident Charles Michel, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als auch Tschechiens Außenminister Jan Lipavsky Russland der Tat. Die russische Armee hat das Gebiet Cherson besetzt. Im vergangenen Herbst gelang der ukrainischen Armee die Zurückeroberung eines Teils der Region - auch der gleichnamigen Gebietshauptstadt Cherson. Städte südlich des Dnipro blieben allerdings unter russischer Kontrolle, auch die Staudamm-Stadt Nowa Kachowka.

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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