Vorwürfe wegen Corona-Maßnahmen
Staatsregierung fehlen Daten über Entwicklung der Pandemie!

Foto: Felix Kästle/dpa/Symbolbild

MÜNCHEN/NÜRNBERG (dpa/lby) - Der Staatsregierung fehlen in der Corona-Pandemie nach wie vor verlässliche Daten über den Impfschutz hochbetagter Pflegeheimbewohner. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass zum Stichtag 1. November 87 Prozent der geschätzt 127.000 bayerischen Pflegeheimbewohner zweimal geimpft waren. Darüber hinaus hatten die staatlichen Impfzentren bis zum 3. Dezember insgesamt 63.827 Auffrischungsimpfungen für Bewohnerinnen und Bewohner gemeldet, wie das Gesundheitsministerium in München mitteilt.

Auch niedergelassene Ärzte impfen in den Heimen - mutmaßlich in großem Umfang, aber verlässliche Daten dazu gibt es nicht. «Eine genaue Quote kann jedoch nicht angegeben werden, da die Zahl der Auffrischungsimpfungen durch Ärzte nicht bekannt ist, da die Eigenschaft als Heimbewohner bei der Impfdokumentation nicht gesondert erfasst wird und auch im Übrigen bisher keine Meldepflicht der Ärzte oder Einrichtungen besteht», heißt es in der Antwort des Ministeriums.

Etwa zwei Drittel der Corona-Toten sind über 80, in der ersten Phase der Pandemie kam es vor Beginn der Impfkampagne bundesweit in Heimen immer wieder zu Masseninfektionen mit zahlreichen Todesopfern. In den vergangenen Monaten gab es mit dem Nachlassen der Impfwirkung bundesweit neuerliche Ausbrüche in Heimen, auch in Bayern.

Auch abgesehen vom Thema Pflegeheime fehlt den Behörden derzeit ein exakter Überblick über die Entwicklung: Laut Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel kommt es bundesweit «zum Teil zu erheblichen Meldeverzügen, was sich auch auf Angaben zum Impfstatus auswirkt». Deswegen schlüsselt das LGL nach Angaben eines Sprechers derzeit auch nicht auf, wieviele Geimpfte unter den Toten waren. Momentan ebenfalls nicht mehr angegeben wird, wie hoch die Inzidenzen unter Geimpften und Ungeimpften sind.

Diese Daten sind für die Frage von Bedeutung, wie wirksam die Impfungen sind und wie schnell die Schutzwirkung der Impfung nachlässt. Anfang November waren drei Viertel der Corona-Toten in Bayern Ungeimpfte, obwohl etwa zwei Drittel der bayerischen Bevölkerung geimpft sind. Dies entspricht den Analysen von Mediziner und Statistikern, dass Ungeimpfte ein vielfach höheres Risiko laufen, auf einer Intensivstation zu landen und gegebenenfalls zu sterben.

Wie hoch der Anteil der Sterbefälle unter den Corona-Intensivpatienten ist, kann laut LGL aktuell aber ebenfalls nicht berechnet werden. «Insbesondere auch die Datenqualität zur Intensivpflichtigkeit gemeldeter Fälle ist unvollständig und kann aus technischen Gründen nicht auf Vollständigkeit geprüft werden», erklärte ein Sprecher auf Anfrage.

Eine bundesweite Meldepflicht für Impfungen in Pflegeheimen ist bislang nicht vorgeschrieben, obwohl gerade Heimleitungen umfangreiche Dokumentationspflichten erfüllen müssen, die die Qualität der Pflege sicherstellen sollen.

Nach Angaben der Stiftung Patientenschutz ist das ein Problem auch in anderen Bundesländern: «Ein Impfradar für Pflegeheime und Krankenhäuser fehlt», sagte Vorstand Eugen Brysch. «Das hindert die Landesregierungen aber nicht, immer wieder neue Maßnahmen zu beschließen, ohne die Lage vor Ort zu kennen. Eine Fehleranalyse wird so unmöglich.»

Die Landtags-Grünen warfen der Staatsregierung vor, der fehlende Überblick über die Impfungen in den Heimen werde «definitiv Menschleben kosten». «Es passt in das traurige Gesamtbild, dass die Staatsregierung anscheinend die besonders vulnerablen Gruppen aus dem Blick verloren hat», sagte der pflegepolitische Sprecher Andreas Krahl.

Nach Vermutung der Landtags-FDP ist der Anteil der Impfdurchbrüche in den vergangenen Wochen gestiegen. Das LGL hatte kürzlich eingeräumt, dass die Berechnung der Inzidenz unter Ungeimpften in den vergangenen Wochen auf unvollständigen Daten basierte. «Durch das systematische Kleinrechnen der Geimpften-Inzidenz hat man hier ein wichtiges Warnsignal deaktiviert und in Bayern die deshalb so wichtigen Booster-Impfungen viel zu spät und zaghaft vorangetrieben», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Matthias Fischbach.

Im Gegensatz zu Bayern hatte Baden-Württemberg die Impfungen in Pflegeheimen offensichtlich frühzeitig im Blick, obwohl eine verbindliche Vorgabe aus Berlin dazu fehlte. «Wir haben die Heimaufsichtsbehörden in den Land- und Stadtkreisen in Baden-Württemberg gebeten, bei den Pflegeeinrichtungen im Land den Stand der Auffrischungsimpfungen abzufragen», sagte ein Sprecher des baden-württembergischen Sozialministeriums auf Anfrage.

Das bedeutet allerdings nicht, dass in Baden-Württemberg alle Heimbewohner bereits eine Booster-Impfung erhalten hätten. Die Quote der Auffrischimpfungen in Baden-Württembergs Pflegeheimen variiert laut Stuttgarter Ministerium «zwischen 10 und 100 Prozent» - abhängig unter anderem vom Datum der Erst- und Zweitimpfungen, dem Gesundheitszustand der Bewohner und der Zustimmung zur Drittimpfung durch die Bewohner selbst oder deren Betreuer. Die neue Bundesregierung will nun ein bundesweites «Impfradar» für Pflegeheime einführen.

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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