Konventionelle Verteidigung in Europa
Strikte deutsche Richtlinien für Rüstungsexporte sollen aufgeweicht werden
BERLIN (dpa) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat für eine europäische Zusammenarbeit bei Rüstungsexporten geworben und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) Unterstützung für die Überarbeitung der strengen deutschen Richtlinien signalisiert.
Die Organisation zum Management von gemeinsamen Rüstungsvorhaben habe das Zeug dazu, «zum Nukleus einer europäischen Zusammenarbeit» zu werden, sagte der SPD-Politiker auf einer Bundeswehrtagung in Berlin. Voraussetzung sei allerdings, dass die Mitgliedstaaten ihre Vorbehalte und Regularien zur Nutzung und zum Export gemeinsam hergestellter Systeme überprüften. «Manchen mag das vielleicht überraschen – aber die Bundesregierung ist dazu bereit», betonte Scholz.
Die SPD-Politikerin Lambrecht hatte sich in einer Grundsatzrede dafür ausgesprochen, die strikten deutschen Richtlinien für Rüstungsexporte aufzuweichen, um Kooperationen mit europäischen Bündnispartnern wie Frankreich, Spanien oder Großbritannien zu erleichtern. In diesen Ländern werden Rüstungsexporte nicht so stark etwa von der Menschenrechtslage in den Zielländern abhängig gemacht wie in Deutschland. Bei Gemeinschaftsprojekten müssen sich aber auch die Unternehmen in den Partnerstaaten beim Export an die deutschen Beschränkungen halten.
Scholz: Besonders die Luftverteidigung ist wichtig
Eine gemeinsame europäische Rüstung sei möglich - und bei neuen, komplexen Systemen oft auch der einzige Weg, sagte Scholz. Das vielleicht drängendste Problem in Europa sei die völlig unübersichtliche Zahl an Waffensystemen und Rüstungsgütern und die Konkurrenz unterschiedlicher Rüstungsunternehmen. «Nur der koordinierte Aufwuchs europäischer Fähigkeiten führt zu einem handlungsfähigen Europa», betonte der Kanzler. Ihm sei dabei besonders die Luftverteidigung wichtig.
Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, die Rüstungsexportkontrolle auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Die Grünen wollen die Regeln sogar noch verschärfen und den Export in Länder außerhalb von Europäischer Union und Nato weiter einschränken.
Scholz erneuerte seine Zusage, künftig zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren. «Auch meine Aussage, dass wir den Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern werden, gilt», betonte er. Nachdem das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr ausgeschöpft sei, werde die Finanzierung nicht wieder zum alten Niveau zurückkehren.
«Bundeswehr zum Grundpfeiler der Verteidigung in Europa machen»
«Eine gut ausgerüstete Bundeswehr, die ihren Auftrag zum Schutz unseres Landes erfüllen kann, ist für mich eine Selbstverständlichkeit», sagte Scholz. «Dafür stehe ich als Bundeskanzler - und darauf können Sie sich verlassen.» Die Bundeswehr solle zum Grundpfeiler der konventionellen Verteidigung in Europa werden, «zur am besten ausgestatteten Streitkraft».
Dafür müssten aber Aufgaben neu priorisiert werden, was man lange vermieden habe. Natürlich könne eine gute Armee Brunnen bohren, humanitäre Hilfe absichern, Fluten eindämmen und in Pandemiezeiten beim Impfen helfen. «Darin besteht aber nicht Ihr Kernauftrag», betonte Scholz. «Der Kernauftrag der Bundeswehr ist die Verteidigung der Freiheit in Europa!» Alle anderen Aufgaben müssten sich dem unterordnen.
Zu den neuen Waffenlieferungen und zur ukrainischen Forderung nach Kampf- und Schützenpanzern äußerte sich Scholz nicht. Verteidigungsministerin Lambrecht hatte angekündigt, die Bundesregierung werde dem Land zur Abwehr des russischen Angriffs zwei weitere Mehrfachraketenwerfer Mars sowie 50 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo überlassen. Zudem würden 200 Raketen geliefert. Der bewaffnete Radtransporter Dingo dient für Patrouillen- und Spähfahrten.
Berlin erweitert damit die Liste der gelieferten Waffensysteme, lässt die von Kiew vorgebrachte Forderung nach Kampfpanzern aber unerfüllt. Scholz hatte zuletzt stets betont, dass er keine Alleingänge bei Waffenlieferungen machen wolle. Bisher hat kein Nato-Land Kampfpanzer westlicher Bauart in die Ukraine geliefert.
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth brachte eine gemeinsame Kampfpanzer-Lieferung mehrerer europäischer Staaten ins Gespräch. 13 europäische Staaten verfügten über zusammen 2000 Leopard-2-Panzer, sagte er dem Nachrichtenradio MDR Aktuell. Er schlage daher vor, gemeinsam ein Kontingent in die Ukraine zu liefern. Die Koalitionspartner FDP und Grüne zeigten sich zuletzt offen für weitere Waffenlieferungen an Kiew.
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.