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So verläuft der jahrelange Rückbau eines Atomkraftwerks
Wenn ein Kernkraftwerk stillgelegt wird, dann bestimmt vor allem dessen „strahlendes Erbe“ jeden einzelnen Schritt des Rückbaus. Definitiv ein Job für Profis – und ein mühseliger Akt noch dazu. Denn absolut nichts darf das Werksgelände verlassen, von dem nicht hundertprozentig nachgewiesen ist, dass es keine Gefahr mehr darstellt.
Manch einer wird sich vielleicht noch erinnern, wo er am 16. August 2024 gegen 18:30 Uhr abends war. Nämlich entweder vor dem Fernseher, einem Livestream oder sogar direkt vor Ort, als beim KKW Grafenrheinfeld die Kühltürme gesprengt wurden.
Das war ein wichtiger Moment. Was allerdings die Gesamtbetrachtung eines AKW-Rückbaus anbelangt, sind solche spektakulären Aktionen eher selten und nicht einmal von sonderlich hoher Priorität. Denn wichtiger ist es, dafür zu sorgen, das alles, was radioaktiv kontaminiert sein könnte, nicht zur Gefahr wird. Daher erinnert ein solcher Kraftwerksrückbau vielfach an eine Sisyphusarbeit und dauert nicht selten Jahrzehnte.
Radioaktivität – die große Komplikation
Jedes Kraftwerk solcher Größenordnungen ist ein hochkomplexes technisches System. Selbst im Dreischichtsystem dauert ein Abriss deshalb jahrelang an – zu sehen etwa beim Gemeinschaftskraftwerk Kiel. Das Kohlekraftwerk wurde zwischen Oktober 2021 und September 2024 zurückgebaut.
Bei einem AKW hingegen erschwert Radioaktivität einfach alles. Je nachdem, um was für eine Art Atomkraftwerk es sich handelt, wurden verschiedenste – teils extrem große – Bauteile durch die Strahlung aktiviert. Das gilt beispielsweise für den gesamten Reaktordruckbehälter und seine Einbauten. Also das Herzstück des Kraftwerks, in dem durch die bei der Kernspaltung entstehende Hitze Wasser erwärmt wird.
Dieser Behälter bleibt daher selbst dann noch gefährlich, wenn die besonders stark strahlenden alten Brennelemente entnommen und via Castor-Behälter abtransportiert wurden. Allerdings kommt im Kraftwerk noch mehr „strahlender Schmutz“ hinzu. Nichts davon darf unkontrolliert in die Umwelt, den Rohstoffkreislauf usw. gelangen. Daher verfolgt man eine dreigleisige Strategie:
- Abklingen lassen: Je nachdem, um welche Strahlung es sich handelt, schwächt sie sich in einem überschaubaren Zeitraum deutlich ab – mitunter bis unter die gesetzlichen Grenzwerte. Längst nicht alles, was in einem AKW aktiviert wurde, strahlt so viele Jahrtausende lang gefährlich stark wie die Brennelemente.
- Reinigen: Vieles, was strahlt, ist lediglich an der Oberfläche belastet. Daher greift man während des Rückbaus zu unterschiedlichsten Maßnahmen, um diese Verschmutzung vom restlichen Material zu entfernen.
- Endlagern: Alles, was nicht in einem absehbaren Zeitraum ausreichend weit abklingt, muss gesondert verpackt und dann einer Zwischen- oder Endlagerung zugeführt werden.
Ganz grob unterscheidet man hier zwischen den nuklearen und nichtnuklearen Kraftwerksbereichen. Während letztere so problemlos rückzubauen sind wie jede beliebige andere technische Installation, sind erstere es, die das Projekt so in die Länge ziehen.
Nicht einfacher wird es, weil dieser nukleare Bereich je nach Bauart größer oder kleiner sein kann. Dazu seien grob die Unterschiede zwischen den beiden wichtigsten AKW-Bauarten erläutert:
- Druckwasserreaktor: Das hochradioaktive Wasser im Reaktordruckbehälter gibt seine Hitze über einen Wärmetauscher an einen Sekundärkreislauf ab. Erst danach entsteht der (unbelastete) Dampf, der mit den Turbinen zur Stromerzeugung in Kontakt kommt. Die stark kontaminierten Bereiche sind dabei kleiner. Dafür muss der Druckbehälter erheblich aufwendiger konstruiert sein. Grafenrheinfeld ist ein solches System.
- Siedewasserreaktor: Dieses System benötigt aufgrund des erheblich niedrigeren Drucks keinen so hochkomplexen Reaktordruckbehälter. Dafür werden die Turbinen jedoch (in der Regel) direkt mit dem Dampf beaufschlagt und somit deutlich mehr Bauteile kontaminiert.
Weiter erschwert wird die Tatsache, weil prinzipiell jedes AKW, zumindest aber seine einzelnen Kraftwerksblöcke, zu weiten Teilen ein Unikat ist. Was also beim Rückbau eines Kraftwerks funktioniert, muss es bei einem anderen nicht zwingend tun.
Die Stilllegung eines AKW: Die möglichen Herangehensweisen
Nach dem Ende der finalen Laufzeitverlängerung aufgrund des Ukraine-Krieges stehen derzeit alle vor dem Atom-Aus noch laufenden deutschen AKW vor einer ähnlichen Lage: sie befinden sich in der sogenannten Nachbetriebsphase.
Dabei wurde das Kraftwerk kontrolliert heruntergefahren, es befindet sich also in einem ausgeschalteten, aber (theoretisch) noch einsatzbereiten Zustand. Das dient dazu, insbesondere die Brennelemente genügend abklingen zu lassen, bis sie keine aufwendige Kühlung mehr benötigen. Erst dann können sie in Castor-Behälter umgeladen werden.
Da es sich um eine so komplexe Thematik handelt, sind sämtliche Schritte und Phasen mit dem Erhalt von Genehmigungen im Rahmen des Atomgesetzes verknüpft. Für die Bundesländer, den Bund sowie die AKW-Betreiber bieten sich dabei mehrere Herangehensweisen an, dazu Mischformen. Das ist abermals den vielfach einzigartigen AKW-Konstruktionen geschuldet:
- Sofortiger Rückbau: Nach einer kurzen Abklingzeit von höchstens wenigen Jahren beginnt sofort der Rückbau. Das ist schnell, aber aufgrund der höheren Radioaktivität herausfordernder.
- Sicherer Einschluss: Nach dem Entfernen der Brennelemente werden alle belasteten Teile in den Reaktorsicherheitsbehälter (typischerweise die auffällige Betonkuppel, auch Containment genannt) verbracht. Diese wird anschließend für mehrere Jahrzehnte versiegelt, während ringsherum alles abgebaut wird.
- Dauerhafter sicherer Einschluss: Dieses in Deutschland nicht gestattete Vorgehen versiegelt den Sicherheitsbehälter für unbestimmte Zeit. Dadurch wird der Rückbau auf Folgegenerationen verschoben und ist dadurch erheblich günstiger.
Bei den meisten deutschen KKW versucht man, einen verhältnismäßig schnellen Rückbau zu vollziehen. Um erneut Grafenrheinfeld als regionales aktuelles Beispiel zu nutzen:
- Stilllegung Juni 2015
- Verlagerung der Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter in Abklingbecken im Dezember 2015
- Beginn des Rückbaus 2018
- Zwischenlagerung aller Brennelemente in Castoren auf dem Gelände seit 2020
- geplantes Ende des Abbruchs bis Status „Grüne Wiese“ bis zirka 2035
Grüne Wiese bedeutet: Alles auf dem Gelände wurde abtransportiert. Das Areal wurde „freigemessen“ und erfordert keine Strahlenschutzmaßnahmen mehr. Dadurch kann es wie vor AKW-Baubeginn genutzt werden.
Da es sich bei Kernkraftwerken typischerweise um sehr weitläufige Areale handelt, kommt es durchaus zu Mischsituationen. So etwa im einzigen rheinland-pfälzischen AKW in Mülheim-Kärlich. Dessen Reaktorsicherheitsbehälter steht (Ende 2024) noch, darin sind die Abbrucharbeiten in vollem Gange. Ringsherum siedeln dagegen schon verschiedene neue Firmen.
Ein möglichst schneller Rückbau hat zudem personelle Gründe: Das Expertenwissen der Belegschaft kann noch genutzt werden. Zudem ist es insbesondere für die Spezialisten in nuklearen Bereichen vielfach möglich, sie sozialverträglich bis zur (Früh-)Verrentung zu beschäftigen – nach dem Atomausstieg sind alternative Arbeitsplätze für diese mehreren tausend Menschen rar.
Die Abschaltung der Anlage
Wenn ein AKW eine Stilllegungsgenehmigung erhalten hat, geschieht von außen betrachtet gar nichts. Der Reaktor wird schlichtweg – ähnlich wie etwa für eine Revision oder Neubestückung – heruntergefahren. Weiterhin müssen die Brennelemente gekühlt werden. Ebenso kommt ein Großteil der bisherigen Belegschaft wie gewohnt zur Arbeit.
Was in dieser Nachbetriebsphase vor allem anfällt, ist Vorbereitungsarbeit. Alle Unterlagen werden zusammengetragen, alle relevanten Daten ermittelt, man stellt Zeit- und Ablaufpläne auf, stimmt sich mit Gesetzgebern ab. Rein theoretisch könnte das Kraftwerk jederzeit wieder hochgefahren werden. Tatsächlich hingegen beginnen im nichtnuklearen Bereich oft schon erste Rückbauarbeiten, wodurch bereits wichtige „Lebensadern“ durchtrennt werden.
Häufig werden auf dem Gelände Zwischenlager errichtet. Das dient später insbesondere einem reibungslosen, schnelleren Ablauf. Ebenfalls werden jetzt schon Verhandlungen mit beteiligten Abbruch(spezial)firmen getätigt – und mitunter Käufer gesucht. Denn die nächste Phase dient nicht zuletzt dazu, den Abbruch günstiger zu machen.
Ausverkauf im nichtnuklearen Bereich
Sieht man vom DDR-KKW Greifswald 5 ab, so ist das im April 1989 erstmalig ans Netz gegangene Kraftwerksblock Neckarwestheim 2 das jüngste AKW Deutschlands. Der große Rest wurde in den früheren 1980ern oder gar 1970ern fertiggestellt – Grafenrheinfeld etwa 1982.
Aus Laiensicht mögen diese Anlagen deshalb „uralt“ sein. Da sie jedoch stets genau gewartet wurden, gibt es viele Systeme, die einer sinnvollen Zweitverwertung zugeführt werden können – und sei es nur als Rohstoffquelle.
So baute man beispielsweise im schon angesprochenen Kraftwerk Mülheim-Kärlich die Turbinen aus. Aufgrund der sehr wechselhaften Geschichte dieses AKW waren sie nur wenige Betriebsstunden gelaufen und fanden daher eine sinnvolle Nachnutzung in einem ägyptischen Gaskraftwerk.
Das heißt, spätestens, wenn sich die Nachbetriebsphase dem Ende entgegenneigt und die Abrissgenehmigungen erteilt wurden, rücken meist schon die Kräne an. Dafür werden externe Spezialisten hinzugezogen – also Spezialtransportunternehmen, die mit ihren leistungsstarken Geräten und Maschinen wie Krane, Bühnen und Gabelstapler selbst größte, schwerste Bauteile aus dem Kraftwerk extrahieren und abtransportieren können.
Denn je weniger Zerlegungsarbeit vor Ort nötig ist, desto schneller kann es gehen – zumal für die weiteren Abbauarbeiten im radioaktiven Bereich Platz nötig ist. Egal, ob Turbinen, Generatoren, tonnenschwere Notstrom-Diesel oder Ähnliches: Was nicht mehr benötigt wird und zudem radiologisch unbedenklich ist, wird vorrangig ausgebaut und entweder als nutzbare Systeme oder zumindest Schrott verkauft.
Dabei geht es im Kern darum, gleichzeitig den nichtnuklearen Teil möglichst rasch „freizuräumen“, aber ebenso bereits im „heißen Bereich“ des Kraftwerks anzufangen. In der Praxis erfolgen deshalb zahlreiche Arbeiten am AKW parallel zueinander. Besonders wichtig und gleichzeitig in hohem Maß körperlich anstrengend ist das, was in der Reaktorkuppel geschieht.
Putzen, Sandstrahlen und mehr: Wie aus strahlendem Müll normaler Schrott und Bauschutt wird
Warum ein Gegenstand radioaktiv strahlt, kann zwei Gründe haben:
- Es befindet sich ein radioaktives Material auf seiner Oberfläche.
- Der Gegenstand selbst wurde, mitunter nur bis zu einer gewissen Materialtiefe, durch Neutronenbestrahlung zu einem „Strahler“ gemacht.
Nicht nur aus Transportgründen, sondern weil Endlagerfläche ein sehr rares Gut ist, versucht man deshalb, so viel Abfall wie nur möglich unbedenklich zu machen; also Strahlendes von Nicht-Strahlendem zu trennen.
Tatsächlich ist das eine der umfangreichsten Aufgaben während des Rückbaus. Von Betonböden über Rohrleitungen bis hin zu strahlenden XXL-Bauteilen wie Wärmetauscher oder Reaktordruckbehälter muss alles zerlegt und gereinigt werden – notgedrungen auf engstem Raum innerhalb des Containments.
Das kann durchaus spektakulär sein, wenn etwa unter Wasser mit speziellen Robotern gearbeitet werden muss. In der Masse handelt es sich jedoch um eher simplere Reinigungsarbeiten mit Techniken wie
- Abwaschen,
- reinigen mit speziellen Hochdrucklanzen,
- Einsatz von Säuren,
- abrasives Strahlen mit Sand, Trockeneis und ähnlichen Materialien sowie
- sonstige schleifende oder materialabtragende Verfahren.
Das ermöglicht es nicht nur, oberflächliche strahlende Verunreinigungen zu entfernen, sondern sogar nicht in Gänze aktivierte Bauteile zu säubern. Selbst, wenn es dazu beispielsweise nötig ist, das zum Reinigen genutzte Wasser zu sammeln und ebenfalls zu dekontaminieren, ist das die erheblich bessere Herangehensweise, als einfach alles, was strahlt, zu zerlegen und in ein Endlager zu überführen. Dabei würde ein Vielfaches der Abfallmenge entstehen.
Von den mehreren hunderttausend Tonnen Gesamtmasse eines AKW kann der Anteil von radioaktiven Abfällen, die eine besondere Verwertung erfordern, auf diese mühevolle Weise auf einstellige Prozentzahlen reduziert werden. Zudem sind selbst die größten (gereinigten) Bauteile bereits ziemlich kompakt, wenn sie das Kraftwerk verlassen dürfen.
Die Freimessanlage: Wo ein ganzes AKW in Gitterboxen passen muss
Was die Hinterlassenschaften aus dem nuklearen Bereich anbelangt, gibt es erneut eine dreigliedrige Unterscheidung. Diesmal bei der Freigabe, das Kraftwerk verlassen zu können:
- Uneingeschränkte Freigabe: Müll, der eine Person pro Jahr nicht stärker als mit 0,01 Millisievert bzw. 10 Mikrosievert bestrahlt. Im Schnitt erhält ein Mensch in Deutschland alljährlich eine Dosis von 2,1 Millisievert. Daher darf dieser Abfall ohne Einschränkungen deponiert oder recycelt werden.
- Spezifische Freigabe: Hierbei strahlen Stoffe etwas stärker, daher gibt es eine Freigabe nur für bestimmte Zwecke. Etwa, wenn durch Einschmelzen zusammen mit anderen Metallen sichergestellt ist, dass die Radioaktivität hinreichend „verdünnt“ wird.
- Radioaktiver Abfall: Das ist alles, was mindestens 1011 Becquerel pro Kubikmeter abgibt – die untere Grenze für schwachradioaktive Abfälle. Es darf keiner herkömmlichen Entsorgung bzw. Wiederverwertung zugeführt werden, sondern benötigt so lange eine Zwischenlagerung, bis wenigstens eine spezifische Freigabe erteilt werden kann.
Der diesbezüglich mit Abstand wichtigste Ort eines sich im Abriss befindlichen AKW ist die Freimessanlage in einer speziellen Halle. Alles, was im nuklearen Bereich ausgebaut, zerlegt und gereinigt wird, dazu sämtliche dabei entstehenden Reste bzw. Abfälle, muss durch diese Anlage hindurch. Sie besteht aus empfindlichen Sensoren für die verschiedenen Strahlungsarten.
Dazu kommt etwas zum Einsatz, was unter Profis längst zum „Wappentier“ für den Rückbau kerntechnischer Anlagen geworden ist: die Gitterbox, 83 x 124 x 97 Zentimeter. Gefertigt aus robustem Stahl, per Kran oder Gabelstapler transportierbar. Für diese Maße ist die Freimessanlage konzipiert und darauf müssen selbst die größten Bauteile gebracht werden. Nur, was definitionsgemäß eine uneingeschränkte oder spezifische Freigabe erhält, darf die Freimesshalle nach der „richtigen Seite“ verlassen. Was scheitert, wird zurückgehalten – kann aber meist nach einer gründlicheren Reinigung passieren.
Was einen AKW-Rückbau so langwierig macht, sind somit all die Maßnahmen rund um die Strahlensicherheit. Darunter eben die Vorgabe, alles so stark zu zerkleinern, bis es in eine dieser Boxen passt.
Die Geschichte zeigt, dass es sich hierbei nicht um übertriebene Vorsicht handelt. In anderen Staaten kam es bereits mehrfach vor, dass beispielsweise erheblich strahlende Metallteile dem normalen Schrottkreislauf beigegeben wurden. Dadurch entstanden Produkte zwischen Bewehrungsstab für den Betonbau und Gürtelschnalle, die unzulässig hohe Radioaktivitätswerte aufwiesen.
Nicht nur verhindert die Freimessanlage solche folgenschweren Fehler. Ebenso haben viele Großsammelstellen für Metallschrott sowie Schmelzwerke vergleichbare Detektoren im Einsatz – bloß nicht auf der ganzen Welt.
Die besonders gefährlichen Elemente: Druckbehälter und Co.
Ein Großteil dessen, was strahlt, lässt sich durch Reinigen und/oder durch eine gewisse Abklingphase zumindest auf Werte bringen, die eine spezifische Freigabe gestatten. Für die Teile, die direkt und teils Jahrzehnte mit den Ergebnissen der Kettenreaktion in Berührung waren, gilt das allerdings nicht. Bei einem Druckwasserreaktor sind das insbesondere:
- Der Reaktordruckbehälter an sich. Ein zirka 12 Meter hoher, 5 Meter durchmessender Zylinder mit halbrundem Boden.
- Die Hochleistungspumpen des Primärkreislaufs – also jenes Wasser, das die Brennelemente direkt umspült. Hierzu gehören die Pumpen für den Normalbetrieb sowie gegebenenfalls nur für Notfälle vorgesehene Zusatzpumpen.
- Die in den Primärkreislauf integrierten Rohrleitungen sowie durch den Dampferzeuger bzw. Wärmetauscher führenden Teile – wo die Hitze an den nichtradioaktiven Sekundärkreislauf abgegeben wird.
- Der Druckhalter, der den Primärkreislauf stets unterhalb eines erlaubten Maximaldrucks hält.
- Die Halterungen der Brennelemente, der Steuerstäbe sowie ähnliche im Druckbehälter befindliche Teile.
- Der „biologische Schild“ aus Beton, der um die untere Hälfte des Reaktordruckbehälters errichtet wurde und die im Betrieb entstehende Strahlung nach den Seiten und unten stark abschwächt.
All das ist zu weiten Teilen oder in Gänze durch Neutroneneinfang selbst stark radioaktiv geworden. Eine Reinigung ist daher entweder nicht möglich oder aufgrund des Aufwandes nicht wirtschaftlich. Sobald die Strahlung auf ein vertretbares Maß abgeklungen ist, beginnen die Spezialisten daher damit, die Bauteile zu zerlegen. Dabei kommt ihnen eines zupass: Über dem Reaktor befindet sich ein Bereich, der sich mit Wasser füllen lässt. Wasser ist ein sehr gutes Abschirmungsmedium.
Im Normalbetrieb erleichtert dieses Becken hauptsächlich die Entnahme der abgebrannten, aber immer noch massiv strahlenden Brennelemente. In der finalen Lebensphase des AKW hilft es hingegen je nach verbliebenem Strahlungsniveau dabei, das alles weitgehend gefahrlos zu zerlegen. Anschließend wird der hochradioaktive Schrott in Castoren verladen, die ebenfalls unter Wasser eingetaucht sind. Das alles hält die Strahlenbelastung für das Personal auf einem niedrigen Niveau.
Allerdings: Dank Robotertechnik funktioniert es durchaus ohne diesen wässrigen Schutzschild. So etwa beim AKW Unterweser.
Was zum Schluss noch verbleibt
In aller Regel ist das Reaktorgebäude der letzte verbliebene Teil, nachdem ringsherum nach und nach alle anderen Bauten samt Inhalt abgetragen wurden. Der Druckbehälter und seine Anbauteile gehören zu den größten, am stärksten strahlenden und finalen Großbauteilen, die zerlegt und abtransportiert werden.
Danach verbleibt letztlich eine entkernte Hülle. Doch b zu dem Tag, an dem auch dieser Part aus dem Geltungsbereich von Atomgesetz bzw. strahlenschutzrechtlicher Überwachung entlassen wird, bleiben solche Bestandteile wie Lüftungsanlagen, deren Filter, ins Gebäude integrierte Kräne und ähnliche Hilfssysteme.
Das überwiegende Ziel der Arbeiten ist es, hinterher nicht einmal mehr die aus Beton bestehende Bodenplatte zu hinterlassen. Also buchstäblich eine Situation, als hätte es das AKW nie gegeben. Allerdings ist die erwähnte grüne Wiese in der Realität meist bloß sprichwörtlich.
Aufgrund der enormen Abmessungen der Liegenschaften und ihrer meist hervorragenden Anbindung an die Verkehrsinfrastruktur handelt es sich bei ehemaligen Kernkraftwerksgeländen meistens um regelrechte „Filetstücke“ zur Ansiedlung von Gewerbe- und Industriegebieten. Schon kurz nach den finalen Abbrucharbeiten erinnert deshalb oft kaum noch etwas an die frühere Nutzung.
Was jedoch die alten Brennelemente und den restlichen hochradioaktiven Abfall anbelangt, werden sich noch Menschen in einigen hundert Generationen damit befassen müssen. Bis von allen radioaktiven Elementen keine nennenswerte Gefahr mehr ausgeht, vergehen teils Jahrmillionen. Selbst, wenn man nur akut lebensbedrohliche Risiken thematisiert, sind es bei vielen Elementen in den Brennstäben gut und gerne 10.000 Jahre – ein sehr langes Erbe einer nur wenige Jahrzehnte betragenden Nutzung.
Autor:Jenny Reichenbacher aus Nürnberg |
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