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Weniger ist mehr: Das steckt hinter dem Minimalismus-Hype
BERLIN (dpa/nf) - Einige wenige Möbel im Wohnzimmer, die Ablageflächen frei und im Kleiderschrank nur ein paar Klamotten: Wer sich auf Instagram umsieht, findet zahlreiche Accounts von Minimalistinnen und - seltener - Minimalisten, die ihren Lebensstil präsentieren und Inspirationen zum Aussortieren geben.
Weniger ist mehr, lautet auch das Credo der Ausmist-Challenges, die Followerinnen und Follower dazu animieren, Fotos von Dingen zu posten, von denen sie sich (endlich) trennen konnten. Das Ergebnis reicht von einem Berg an Klamotten über alte Koffer, Fahrräder und Bücher bis hin zu noch nie gemochten Geschenken, überflüssigen Küchenutensilien und staubigem Krimskrams.
Berühmtes Beispiel: Die Aufräum-Expertin Marie Kondo mit der KonMari-Methode – und übrigens nicht erst seit gestern und im Zuge der aktuellen Klimakrise-Kampagne, sondern bereits seit 2011, als ihr erstes Buch „Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“ erschien. Viele Anhänger haben sich im Lauf der Zeit aber von dem Trend schon wieder verabschiedet.
Umweltphilosoph Jürgen Manemann hält diese Herangehensweise für eine gute Idee, um Menschen mit Minimalismus in Kontakt zu bringen. «Minimalismus hier und da als Spiel zu gestalten - warum nicht?», sagt der Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover.
Der Zwang zum Konsumieren
Es geht um die Erkenntnis, dass es genug ist, vielleicht sogar schon zu viel - besungen etwa von Silbermond im Song «Leichtes Gepäck»: «Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 Prozent nich' brauchst.» Die Konsequenz daraus ist nicht einfach umzusetzen. «Genügsamkeit zu leben, ist für uns alle eine große Herausforderung. Wir haben die Überflussgesellschaft derart verinnerlicht, dass wir einem regelrechten Zwang zum Konsumieren unterliegen», sagt Manemann, der Minimalismus aus philosophischer Perspektive erforscht.
Minimalismus und Nachhaltigkeit
Adrienne Steffen und Susanne Doppler forschen gemeinsam am Phänomen Minimalismus. «Auch wenn es nicht immer die Motivation ist, könnte Minimalismus einen großen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit leisten», sagt Doppler, Professorin für Eventmanagement und Tourismus an der Hochschule Fresenius Heidelberg. «Bewusster konsumieren, weniger und hochwertigere Kleidung und Nahrung kaufen. Weniger entsorgen, öfter reparieren, weniger kaufen.»
Wachstum vs. Genügsamkeit
So spaßig Ausmist-Challenges im Netz sein mögen und so befreiend sich eine klare Struktur in der Wohnung anfühlen mag - bleibt Minimalismus ein Privatvergnügen, wird aus Sicht von Umweltphilosoph Manemann wertvolles Potenzial verspielt. «Wir brauchen Minimalismus nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen: Das politische Gebot der Stunde lautet nicht Wachstum, sondern Genügsamkeit, Suffizienz.»
Konkret fordert Manemann: «Minimalisten sollten sich produktiv politisieren. Wenn Minimalismus im Privaten bleibt, wird er keine Zukunft haben, seine Energien werden verpuffen, schlimmstenfalls stabilisiert er sogar noch die bestehenden Verhältnisse.»
Wenn es nur um die Botschaft 'Vereinfache dein Leben' gehe und die soziale Komponente des Netzwerkens fehle, bestehe die Gefahr, dass Minimalismus zu einem Lifestyle verkomme, zu einem neoliberalen Projekt, befürchtet der Umweltphilosoph.
Von Christine Cornelius, dpa
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