FDP will zurück zur Schuldenbremse
Soll das Grundgesetz wieder zum Maßstab werden?
BERLIN (dpa/vs) - Im Falle außergewöhnlicher Krisen hat die Bundesregierung das Recht, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse außer Kraft zu setzen. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie ist das der Fall. Die FDP warnt vor den Folgen für die nächste Generation. Kann Finanzminister Christian Linder den "Verschuldungs-Wahnsinn" stoppen?
Von Theresa Münch, dpa
Wenn es nach Finanzminister Christian Lindner geht, sollen drei Jahre Ausnahmezustand beendet werden. Aktuell debattiert der Bundestag vier Tage lang über seinen Entwurf für den Bundeshaushalt 2023. Die wichtigste Mission des FDP-Politikers: Die Schuldenbremse soll wieder eingehalten werden. Dazu greifen Lindner und sein oberster Rechner, Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer, in die Trickkiste - was der Opposition sichtlich aufstößt.
Es ist Lindners Erstlingswerk, das in den kommenden Monaten in den Bundestagsausschüssen bis ins Detail unter die Lupe genommen wird: Der erste Etat, für den der neue Finanzminister komplett alleine verantwortlich ist. Den Haushalt für 2022 hatte sein Vorgänger, der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz, noch vorkonzipiert. Lindner kann sein Zahlenwerk wegen eines Todesfalls in der Familie nicht selbst ins Parlament einbringen.
Was ihm daran besonders wichtig ist, dürften inzwischen aber ohnehin alle verstanden haben: Trotz neuer Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg, trotz Energiekrise, hohen Preisen und Entlastungspaketen soll der Bund nicht mehr Schulden machen, als das Grundgesetz erlaubt. Das war in den vergangenen drei Jahren anders, wegen der Corona-Krise hatte der Bundestag eine Ausnahmeregel der Schuldenbremse in Kraft gesetzt. Die Folge: 130,5 Milliarden Euro neue Kredite im Jahr 2020; 215,4 Milliarden Euro im Jahr 2021 und bis zu 138,9 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr.
Lindner und seine FDP waren schon im Wahlkampf mit der Maßgabe angetreten, das ewige Schuldenmachen müsse ein Ende haben. Schulden von heute seien die Steuererhöhungen von morgen, sagen sie. Bei SPD und Grünen stellen das manche infrage, vor allem angesichts der enormen Aufgaben, die zu stemmen sind. Öffentliche Unterstützung dagegen bekommt Lindner immer wieder von Kanzler Scholz.
Zumal, so meint der Finanzminister inzwischen, im kommenden Jahr auch mit Schuldenbremse durchaus Entlastungsmaßnahmen für die Bürger im zweistelligen Milliardenbereich drin wären. Dafür sei Vorsorge getroffen, sagte Lindner nach der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. Die wichtigsten Daten und Fakten zu den Etatplänen des FDP-Chefs:
Wirtschaftliche Ausgangslage
Durch den russischen Krieg in der Ukraine und gedrosselte Gaslieferungen sind die Energiepreise in die Höhe geschossen. Die Inflationsrate kratzt inzwischen an 8 Prozent, sogar Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. Der private Konsum als wichtige Stütze der Konjunktur wird ausgebremst. Zugleich aber nimmt der Staat wieder mehr Steuern ein als in den Jahren mit Corona-Lockdowns. In den ersten beiden Quartalen konnte sich die Wirtschaft aufrappeln - jetzt allerdings rechnen Experten erneut mit einem Einbruch.
Das Etatvolumen
Lindner plant für das kommende Jahr Ausgaben von 445,2 Milliarden Euro. Das sind rund 100 Milliarden weniger als 2021, als unter anderem noch Unternehmen durch die Pandemie gerettet werden mussten. «Wie ist dieses Ergebnis erreicht worden? Durch Konsolidierung», erklärte der 43-Jährige seine Zahlen. In sieben Einzelplänen, also etwa Ministerien, stehe jetzt weniger Geld zur Verfügung. 3000 Stellen sollen eingespart werden. Er habe bei seinen Kabinettskollegen einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen, gab Lindner zu verstehen. Der Bundesrechnungshof wirft ihm allerdings vor, das Bild zu verzerren: Milliardenschwere Ausgaben für Klima und Transformation, Digitales und die Bundeswehr kämen im Etat gar nicht vor, weil sie über Sondervermögen liefen.
Die Schuldenbremse
Auf dem Papier wird sie wieder eingehalten. Die Regelung im Grundgesetz schreibt dem Bund keine Null-Schulden-Politik vor, sondern erlaubt abhängig von der Wirtschaftslage Kredite in geringem Umfang. Das schöpft Lindner mit 9,9 Milliarden Euro voll aus. Allerdings werden auch 7,3 Milliarden Euro Darlehen für die gesetzliche Krankenversicherung und den Internationalen Währungsfonds (IWF) über neue Schulden finanziert, die der Finanzminister nicht auf die Schuldenbremse anrechnen muss. Ergibt eine Nettokreditaufnahme von 17,2 Milliarden Euro.
Damit das ausreicht, greift Lindner zusätzlich in eine alte Rücklage, die der Bund für Flüchtlingskosten angespart hatte. 40,5 Milliarden Euro sollen 2023 daraus entnommen werden - viel mehr als geplant, was dazu führt, dass für die Folgejahre nur noch etwas mehr als sieben Milliarden Euro übrig sind. Der Rechnungshof wirft Lindner auch hier Verschleierung vor: Bei der echten Nettokreditaufnahme müsse die Rücklage genau wie Kredite der Sondervermögen berücksichtigt werden. Sie betrage damit eigentlich 78 Milliarden Euro, mehr als viermal so viel wie im Etat angegeben.
Investitionen
Die Ausgaben für Investitionen bleiben mit mehr als 50 Milliarden auf vergleichsweise hohem Niveau. Größter Block ist der Verkehr. Mehr Mittel eingeplant sind für das Elterngeld, sozialen Wohnungsbau, Bafög, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Außerdem werden schwimmende Flüssiggas-Terminals finanziert. Wichtige Investitionen für Klimaschutz, etwa die Förderung der Erneuerbaren Energien, der Aufbau einer Ladeinfrastruktur und die Dekarbonisierung der Industrie, werden aus einem Sondervermögen gestemmt.
Probleme
Steigende Zinsen bedeuten für den Bund auch mehr Ausgaben. Lindner spricht von einer «Steilwand», die sich aufbaue, allein für 2023 hat er rund 30 Milliarden Euro eingeplant, um die zuletzt angehäuften Schulden zu bedienen. Zugleich muss die Rente mit der riesigen Summe von 112 Milliarden Euro gestützt werden. Die Krankenversicherung kommt selbst mit aufgestocktem Bundeszuschuss nicht mehr aus.
Und dann bleibt die Unsicherheit, wie sich die Inflation entwickelt. Werden weitere Entlastungspakete nötig sein? Lindner hat zur Krisenvorsorge fünf Milliarden eingeplant, außerdem eine sogenannte globale Vorsorge von neun Milliarden für Konjunkturschwankungen. Doch dieses Geld könnte schnell weg sein. Für Lieblingsprojekte der Koalitionspartner wie die Kindergrundsicherung, das Bürgergeld und die Aktienrente ist wenig Spielraum.
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