Interview ++ Stresstest für Demokratie und Wissenschaft
Kann man sich an Mordrohungen gewöhnen, Herr Lauterbach?

Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach. | Foto: © Karl Lauterbach
  • Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach.
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REGION (pm/nf) - Kann Wissenschaft Demokratie? Im Interview spricht Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, mit dem Epidemiologen und SPD-Gesundheitsexperten Prof. Dr. Karl Lauterbach (58) über den Konflikt zwischen dem Parlamentarier und dem Wissenschaftler, die Rolle als omnipräsenter Corona-Mahner und die Frage, ob man sich an Morddrohungen „gewöhnen“ kann.

Herr Prof. Dr. Lauterbach, schön, dass Sie Zeit für unser Special „Corona: Stresstest für Demokratie und Wissenschaft“ haben. Was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

,,Ich habe schon immer in demokratischen Strukturen gelebt und kenne keine anderen Werte. Demokratie ist für mich selbstverständlich - das heißt, dass demokratische Werte wie Freiheit oder Menschenrechte für mich überhaupt nicht zur Diskussion stehen."

Sie sind Epidemiologe und Mitglied des Deutschen Bundestages. In welchem Verhältnis stehen Demokratie und Wissenschaft? Kommt der Wissenschaftler in Ihnen manchmal in Konflikt mit dem Parlamentarier?

,,Ja schon, aber das ist ein konstruktiver Konflikt. Natürlich kommt es vor, dass wissenschaftlich belegte Tatsachen politisch nicht „opportun“ sind. Je nachdem was und wie kommuniziert wird, kann die Nachricht - zumindest politisch gesehen - bisweilen eher Nachteile als Vorteile bringen. Auf der anderen Seite kann gute Politik ohne die feste Verankerung in der Wissenschaft nicht funktionieren. Daher ja, es gibt diesen Konflikt - aber es ist kein destruktiver, sondern ein konstruktiver Konflikt."

Mit über 384.000 Followern sind Sie erfolgreich auf Twitter unterwegs. Welche Rolle spielen die sozialen Medien für Sie und wie vertragen sich 280 Zeichen mit der komplexen Welt der Epidemiologie?

,,Die sozialen Medien spielen in der politischen Diskussion eine immer wichtigere Rolle, nicht nur für mich. Ohne die sozialen Medien ist es nicht möglich bestimmte Diskurse zu prägen - oder zumindest deutlich schwerer. Vor diesem Hintergrund sind die sozialen Medien „Segen und Fluch“ zugleich. Werden sie in der Form genutzt, dass Demokratie und Wissenschaft gestärkt werden, dann sind sie ein Segen. Werden sie missbraucht, um Wissenschaft zu entwerten und demokratische Werte in Frage zu stellen, sind sie ohne Zweifel ein Fluch."

Kürzlich sagten Sie, der Hass gegen Ihre Person stelle alles Bisherige in den Schatten. Wie gehen Sie mit den Beleidigungen und Drohungen um? Kann und darf man sich an Morddrohungen „gewöhnen“?

,,Leider gewöhnt man sich tatsächlich daran - zumindest ein Stück weit. Das lässt sich meiner Meinung nach kaum verhindern, da man ansonsten ständig in Angst und Schrecken leben muss. Auf der anderen Seite ist es wichtig, Sicherheitsangebote, die Politikern und Menschen mit Morddrohungen zustehen, auch wahrzunehmen. Das tue ich natürlich. Klar ist: Die Verrohung im Netz oder die Hasswelle, die jetzt über uns hereinbricht, habe ich in diesem Ausmaß nicht erwartet und hätte mir das bislang auch nie vorstellen können."

Die Fliege, Ihr einstiges Markenzeichen, tragen Sie nicht mehr. Dennoch: Ihre Kritiker sehen in Ihnen den medial omnipräsenten ewigen Corona-Mahner. Wünschen Sie sich manchmal Ihr „altes Leben“ zurück?

,,Ich denke, wir wünschen uns alle unser altes Leben zurück. Das gilt natürlich auch für mich. Ich lege jedoch immer Wert darauf zu sagen, dass ich nicht nur mahne, sondern auch Lösungen vorschlage wie beispielsweise beschleunigte Impfkonzepte oder zweimal wöchentlich Schnelltests. Ich benenne nie ein Problem ohne einen Lösungsvorschlag!"

Herr Prof. Dr. Lauterbach, gerne möchten wir noch etwas Persönliches erfahren: Was unternehmen Sie in Ihrer Freizeit am liebsten und haben Sie sich schon etwas für die Zeit nach Corona vorgenommen?

,,Das Wichtigste für mich ist, Zeit mit meinen Töchtern zu verbringen. Und natürlich habe ich mir Dinge für die Zeit nach Corona vorgenommen, dazu zählt insbesondere auch wieder das Reisen. Ich würde mich sehr freuen, mal wieder nach Südfrankreich reisen zu können."

Hintergrund:

Über die Initiative Gesichter der Demokratie: Mit 100 prominenten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft sowie über 1 Million Unterstützern - darunter Staats- und Regierungschefs, Friedensnobelpreisträger, die Chefredakteure führender Leitmedien sowie die Vorstandsvorsitzenden global agierender DAX-Konzerne - befindet sich die Initiative Gesichter der Demokratie mittlerweile im fünften Jahr ihres Bestehens.

Die Gesichter der Demokratie:
Jean Asselborn, Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten in Luxemburg
Dr. Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC)
Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD zur Europawahl
Gabriela Cuevas Barron, Präsidentin der Interparlamentarischen Union (IPU)
Dominik Bartsch, Repräsentant des UNHCR in Deutschland
Holger Beeck, Vorstandsvorsitzender McDonald’s Deutschland
Jörg Biallas, Chefredakteur „Das Parlament“ und „Heute im Bundestag“
Stef Blok, Außenminister der Niederlande
Wolfgang Bosbach, CDU-Innenexperte
Dr. Peter Brandt, Historiker und ältester Sohn von Willy Brandt
Michael Bröcker, Chefredakteur bei „Media Pioneer“
Rolf Buch, Vorsitzender des Vorstandes der Vonovia SE
Tom Buhrow, Vorsitzender der ARD
Giovanni Buttarelli, EU-Datenschutzbeauftragter
Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber „Der Tagesspiegel“
Dr. Piotr Cywinski, Direktor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau
Shirin David, YouTube-Star und ehemalige DSDS-Jurorin
Moritz Döbler, Chefredakteur der „Rheinischen Post“
Prof. Dr. Douglas Elmendorf, Dekan der Harvard Kennedy School
Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD
Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV)
Dr. Peter Frank, Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof
Leonard Freier, EX-RTL-Bachelor
Fabrice Fries, Präsident der Nachrichtenagentur AFP
Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts
Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen
Thomas Geisel, Oberbürgermeister der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf
Tom Gerhard, Schauspieler und Kölner Kultkomiker
Kolinda Grabar-Kitarović, Staatspräsidentin der Republik Kroatien
Thomas Greminger, Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
Maria Großbauer, Organisatorin des Wiener Opernballs
Christiane Grün, Managing Director der DACH-Region bei 3M
Prof. Dr. Rüdiger Hahn, Inhaber des Henkel-Stiftungslehrstuhls für Sustainability Management
Dr. John Hamre, Präsident des Center for Strategic and International Studies
John Harris, Co-Founder and Editor-in-Chief of POLITICO
Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt
LTG Ben Hodges, Ehem. Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
Katrín Jakobsdóttir, Premierministerin der Republik Island
Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der stern-Chefredaktion
Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission
Dr. Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND)
Kersti Kaljulaid, Staatspräsidentin der Republik Estland
Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung
Daniela Katzenberger, Kultblondine und Doku-Soap-Star
Fritz Keller, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB)
Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft
Dr. Hubertus Kolster, Managing Partner von CMS Deutschland
Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende der CDU Deutschlands
Prof. Dr. Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité
Dr. Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und Bundestagspräsident a.D.
Martina Larkin, Head of Europe and Member of the Executive Committee of the World Economic Forum Davos
Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
Prof. Dr. Karl Lauterbach, Epidemiologe und Bundestagsabgeordneter der SPD
Dr. Jürgen Linden, Vorsitzender der Gesellschaft zur Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der Freien Demokraten
Christian Lutz, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG
Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen
Dr. David Magerman, Managing Partner bei Differential Ventures
Sandra Maischberger, Moderatorin und Fernsehjournalistin
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland
Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofs
Prof. Dr. Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik
Ralf Martin Meyer, Polizeipräsident der Polizei Hamburg
Clover Moore, Oberbürgermeisterin von Sydney
Benigna Munsi, Nürnberger Christkind 2019/2020
Namika, Sängerin und Songschreiberin
Dr. Irfan Ortac, Vorsitzender des Zentralrats der Jesiden in Deutschland
Dr. Vjosa Osmani-Sadriu, Amtierende Staatspräsidentin der Republik Kosovo
Boris Palmer, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen
Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Staatsrechtswissenschaftler und ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts
Dr. Ulf Poschardt, Chefredakteur der WELT
Prof. Dr. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung
Ernst Primosch, Chief Executive Officer von Edelman Deutschland
Q2/Jahrgangsstufe 12 – Albert-Einstein-Gymnasium Kaarst
Gitanjali Rao, Kind des Jahres 2020 des „TIME“-Magazins
Carla Reemtsma, Mitorganisatorin von Fridays for Future
Alfred Theodor Ritter, Inhaber und Vorsitzender des Beirats der Alfred Ritter GmbH & Co. KG
Dr. Daniel Röder, Gründer Pulse of Europe
Annika Savill, Executive Head of the United Nations Democracy Fund (UNDEF)
Thomas Schnalke, Vorsitzender der Geschäftsführung des Düsseldorf Airport
Olaf Schubert, Comedian und Kabarettist
Martin Schulz, Kanzlerkandidat der SPD 2017
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland
Erna Solberg, Prime Minister of the Kingdom of Norway
Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Gabor Steingart, Gründer der Media Pioneer Publishing GmbH
Dr. Johannes Teyssen, Vorsitzender des Vorstands der E.ON SE
Pia Tillmann, Schauspielerin und Influencerin
Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts
Dagmar Wöhrl, Investorin der VOX-Gründershow „Die Höhle der Löwen“
Joshua Wong, Gesicht der Demokratiebewegung in Hongkong
Brigitte Zypries, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie

Die Gesichter des Friedens:

Wassili Archipow, Stabschef der 69. U-Boot-Brigade der Nordmeerflotte
Prof. Dr. Stefanie Bock, Geschäftsführende Direktorin des (ICWC)
Detlef Dzembritzki, Bundesvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN)
Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Atlantik-Brücke
Alice M. Greenwald, Präsidentin und CEO des National September 11 Memorial and Museum
Dr. Gunnar Jeremias, Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe zur Analyse biologischer Risiken an der Universität Hamburg
Vasfije Krasniqi Goodman, Überlebende des Kosovo-Krieges und Aktivistin
Miroslav Lajčák, OSZE-Vorsitzender 2019 und Minister für auswärtige Angelegenheiten der Slowakei
Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)
Prof. Dr. Conrad Schetter, Wissenschaftlicher Direktor des „Bonn International Center for Conversation“ (BICC)
Dan Smith, Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI)

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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Nicole Fuchsbauer auf X (vormals Twitter)
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