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Kindergrundsicherung kommt - oder doch nicht?

Das Bundeskabinett will die geplante Kindergrundsicherung auf den Weg bringen. | Foto:  Sebastian Christoph Gollnow/dpa
  • Das Bundeskabinett will die geplante Kindergrundsicherung auf den Weg bringen.
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BERLIN (dpa) - Es war ein langer Weg, doch nun hat die Bundesregierung die Kindergrundsicherung beschlossen. «Es wird zukünftig endlich bessere, schnellere und direktere Leistungen für alle Familien geben», so jedenfalls Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im Anschluss an eine Kabinettssitzung.

Die Kindergrundsicherung schaffe «einen Systemwechsel - weg von der Holschuld von Bürgerinnen und Bürgern hin zu einer Bringschuld des Staates». Schließlich würden Familien künftig direkt vom «Familienservice» über mögliche Ansprüche informiert und die Berechnung und Auszahlung der Leistungen werden einfacher.

Rechtliche Prüfung von Kindergrundsicherung zu spät

Doch die nächsten Hürden für das sozialpolitische Herzensprojekt stehen schon bevor: Wenige Minuten nach dem Kabinettsbeschluss kritisierte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, dass die Bundesregierung die Kindergrundsicherung bislang keiner vollständigen rechtlichen Prüfung unterzogen hat.

Der Bundestag könne erwarten, dass das geschehe, bevor das Gesetz ins Parlament gehe. Das sei wichtig, da die Kindergrundsicherung verschiedene Leistungen, die bisher in anderen Gesetzen geregelt waren, bündele.

«Ich habe bereits vor Wochen angekündigt, dass ich Gesetzentwürfe, die das Bundeskabinett oder Teile von ihm unter Vorbehalt stellt, nicht im parlamentarischen Bereich akzeptieren werde», sagte Mützenich. «Deswegen wird die SPD-Fraktion bis zum Abschluss dieser Prüfung keine parlamentarischen Beratungen beginnen. Wir erwarten, dass die Voraussetzungen dafür von Seiten der Bundesregierung rasch geschaffen werden.»

Das Justizministerium hat nach eigenen Angaben den Entwurf zur rechtlichen Prüfung erhalten. «Die Rechtsprüfung wurde innerhalb der gesetzten Fristen so umfassend wie möglich durchgeführt», teilte ein Sprecher auf Anfrage der dpa mit. «Vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwürfe sind zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zuzuleiten.

Erst nach Ablauf dieser Stellungnahmefrist kann der Deutsche Bundestag seine Beratung beginnen. Weitere technische Anpassungen werden dem Deutschen Bundestag bis spätestens Mitte Oktober übermittelt. Dem Beginn der parlamentarischen Beratungen stehe deshalb nichts entgegen. Das sei innerhalb der Bundesregierung auch so besprochen.

Die Fristen müssten auch eingehalten werden, denn der ehrgeizige Zeitplan von Paus lässt kaum Spielraum für erneute Verzögerungen: Die Familienministerin rechnet mit einem Startdatum zum 1. Januar 2025. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) geht allerdings von einem Start «im Verlauf» des Jahres 2025 aus.

«Bleibt es bei der geplanten Verabschiedung zu Beginn des kommenden Jahres, können wir im Verlauf des Jahres 2025 mit der stufenweisen Einführung beginnen», sagte die für Familiensachen zuständige BA-Vorständin Vanessa Ahuja am Mittwoch. «Die BA ist darin geübt, komplexe Gesetzesvorhaben umzusetzen. Wir können diese große Aufgabe stemmen, brauchen dafür aber ab dem Zeitpunkt der Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat eine ausreichende Vorlaufzeit.»

Klappt jetzt alles reibungslos?

Zudem ist fraglich, was noch an Debatten im Bundestag zu dem Thema aufkommt. SPD-Fraktionsvize Sönke Rix kündigte bereits an, dass die Partei im Bundestagsverfahren nochmal über den Asylbewerberzuschlag verhandeln will. Ein Punkt, der vor zwei Wochen verhinderte, dass die Kindergrundsicherung ins Kabinett kam.

Im Gesetzentwurf hieß es dann schließlich, dass mit der Einführung der Kindergrundsicherung der in der Corona-Pandemie eingeführte Sofortzuschlag im Bundeskindergeldgesetz, Sozialgesetzbuch II und XII sowie im Asylbewerberleistungsgesetz entfalle. Die Linie, die der FDP wichtig war.

Mehr als 20 zivilgesellschaftliche Organisationen kritisierten dies. «Alle Kinder haben dieselben Rechte - etwa auf gesundes Aufwachsen, soziale Teilhabe und die Wahrung des menschenwürdigen Existenzminimums. Deshalb muss die Kindergrundsicherung eine Leistung für alle Kinder in Deutschland sein», sagte Maria Loheide, Diakonie-Vorständin Sozialpolitik. «Schon jetzt haben geflüchtete Kinder schlechtere Startchancen.»

Und dann ist da noch die Hürde des Bundesrates und die Frage, ob die unionsgeführten Bundesländer dem Gesetzentwurf so überhaupt zustimmen. «Das bisherige Konzept ist für Bayern so nicht tragbar», sagte etwa die bayrische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) der «Süddeutschen Zeitung».

Warum braucht es eine Kindergrundsicherung?

Mehr Kinder sollen aus der Armut geholt werden - so steht es im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Oft wissen die Familien nicht, welche Leistungen ihnen zustehen und wie sie diese beantragen können. Bisher gibt es eine Vielzahl von Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag und weitere finanzielle Hilfen, die von verschiedenen Behörden verwaltet werden.

Die Kindergrundsicherung soll dafür sorgen, dass Familien einen besseren Überblick über ihre Ansprüche erhalten und diese leichter geltend machen können. Ab 2025 sollen die Leistungen auch digital beantragt werden können.

Gibt es in Deutschland überhaupt arme Kinder?

Armut ist relativ und lässt sich nicht allein am Geld bemessen. In Deutschland wird daher meist der Begriff «Armutsgefährdung» verwendet. Wenn jemand weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung hat, gilt er als «armutsgefährdet».

Diese Schwelle lag laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr für eine alleinlebende Person bei etwa 1250 Euro netto im Monat. Knapp 2,2 Millionen der etwa 14,3 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 18 fallen den Angaben zufolge in die Kategorie «armutsgefährdet», weil sie etwa in Haushalten mit entsprechend geringen Einkommen leben.

Streitpunkt: Geld

Es ging - wie so oft - um das liebe Geld. Denn wenn alle berechtigten Familien ihnen zustehende Leistungen auch erhalten, wird das mehr kosten. Das war immer weitgehend unstrittig.

Nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums erreicht etwa der Kinderzuschlag nur rund jedes dritte anspruchsberechtigte Kind. Vor allem den Grünen war aber wichtig, dass nicht nur der Zugang zu Leistungen verbessert wird, sondern dass der Staat diese Leistungen auch erhöht, um gegen Kinderarmut vorzugehen.

Die FDP pochte dagegen darauf, nach den teuren Corona- und Inflations-Entlastungspaketen die Staatsausgaben wieder zu begrenzen, und verweist auf bereits erfolgte Erhöhungen bei Bürgergeld, Kindergeld und Kinderzuschlag. Finanzminister Christian Lindner warnte außerdem davor, dass höhere Sozialleistungen das Arbeiten unattraktiver machen könnten.

Das sogenannte Lohnabstandsgebot müsse gewahrt bleiben. Der FDP-Chef hatte auch infrage gestellt, ob mehr Geld aufs Konto der Familien armen Kindern tatsächlich ideal hilft - oder ob die Mittel nicht bei Kitas, Schulen, Sprachförderung und Arbeitsintegration besser angelegt wären.

Wie teuer ist die Kindergrundsicherung nun für den Staat?

Zunächst 2,4 Milliarden Euro für das Startjahr 2025. Aus Regierungskreisen hieß es zudem, dass bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen der Kindergrundsicherung die Kosten in den Folgejahren auch auf bis zu sechs Milliarden Euro ansteigen könnten.

Wie will die Regierung das Vorhaben konkret umsetzen?

Es soll ab 2025 für alle Kinder einen sogenannten Garantiebetrag geben. Dieser löst das heutige Kindergeld (250 Euro pro Monat) ab. Kinder, die erwachsen sind, aber noch studieren oder in der Ausbildung sind, sollen diesen Garantiebetrag außerdem direkt bekommen - anders als das Kindergeld heute, das an die Eltern geht.

Obendrauf kommt je nach Bedürftigkeit ein Zusatzbeitrag, nach Alter gestaffelt und je nach Einkommenssituation der Eltern. Je weniger sie verdienen, desto höher soll er ausfallen.

Und wann kommt die Kindergrundsicherung nun?

Im Gesetzentwurf ist die Rede von einem Start zum 1. Januar 2025. Ob der ehrgeizige Zeitplan von Familienministerin Lisa Paus eingehalten werden kann, muss sich noch zeigen.

Denn die Bundesagentur für Arbeit (BA) hatte zuvor bezweifelt, dass dieser Startzeitpunkt realistisch ist. Eine Vorlaufzeit des komplexen Gesetzesvorhabens von mindestens 12 Monaten sei erforderlich, um es erfolgreich umzusetzen.

Im überarbeiteten Gesetzentwurf heißt es nun, das Vorhaben sei besonders eilbedürftig. «Die BA benötigt ab Verkündung des Gesetzes ausreichend Zeit (bis zu einem Jahr), um die Verwaltungsabläufe und IT-Verfahren auf die Einführung der Kindergrundsicherung vorzubereiten. Das Gesetzgebungsverfahren muss daher schnellstmöglich abgeschlossen werden.»

Woran kann das Vorhaben jetzt noch scheitern?

Der Gesetzentwurf muss nun durch den Bundestag und auch die Länder müssen zustimmen. Es bleibt fraglich, ob die unionsgeführten Bundesländer dem derzeitigen Entwurf zustimmen werden. «Das bisherige Konzept ist für Bayern so nicht tragbar», sagte etwa die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) der «Süddeutschen Zeitung».

Und der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, befürchtete bereits, dass die Unterstützung für arme Kinder im parlamentarischen Verfahren abgeschmolzen werden könnte. «Das Deutsche Kinderhilfswerk ist äußerst besorgt, dass bei der geplanten Kindergrundsicherung das Ziel in Gefahr gerät, die Kinderarmut in Deutschland spürbar zu senken», sagte Krüger den Zeitungen der «Funke Mediengruppe». «Es ist vielmehr zu befürchten, dass im weiteren Verfahren in Bundestag und Bundesrat die Kindergrundsicherung weiter zusammengestrichen wird.»

Von Stella Venohr, dpa

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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