Hotspot München
Söders Corona-Strategie: Erst Primus, jetzt Sorgenkind?

Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder: Mit ihm will sich's keiner verderben.  | Foto: Sven Hoppe/dpa
  • Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder: Mit ihm will sich's keiner verderben.
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MÜNCHEN (dpa) - Markus Söder und Bayern sind gerne Spitze - aber nicht in dieser Statistik. Seit einiger Zeit führt der Freistaat die Liste der Bundesländer mit den meisten Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen mit an - zuletzt knapp überholt von Berlin.

Hinzu kommt: Die Millionenstadt München ist aktuell einer der bundesweiten Corona-Hotspots mit bedenklicher Perspektive. Und trotzdem wurde hier auf Plätzen und in Wirtshäusern am Wochenende, an dem eigentlich das Oktoberfest gestartet wäre, gefeiert, oft ohne Abstand und ohne Maske. Und dann noch das Bild der FC-Bayern-Bosse, die zum Bundesligaauftakt dicht nebeneinander im Stadion saßen.

Wegen all dieser Zahlen, Fotos und Signale muss man konstatieren: Es war im Kampf gegen das Virus wohl kein allzu erfolgreiches Wochenende - im Gegenteil. Der Ministerpräsident, der sich seit Beginn der Krise gerne als bundesweiter Vorkämpfer gegen das Coronavirus profiliert, versucht deshalb am Montagmorgen auch gar nicht erst, die Lage schönzureden. Er malt vielmehr ein düsteres Bild: Erst in zwei Wochen werde man die Auswirkungen ja in den Corona-Zahlen ablesen können. Er warnt: Sieben-Tages-Inzidenzwerte von über 50 wie in Würzburg und München, aber auch im niedersächsischen Cloppenburg könnten der «Sprungpunkt» zu einer erneuten exponentiellen Entwicklung sein.

Zur Eindämmung der Zahlen kommt nun für Corona-Hotspots eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen, wenn dort Abstandsregeln nicht eingehalten werden. Für München kündigte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bereits am Montag eine Maskenpflicht für Teile der Innenstadt an, wohl ab Donnerstag.

,,Corona nervt furchtbar"

Es ist wieder eine Gratwanderung, die Söder vollführen muss: keine Panik, aber auch keine Sorglosigkeit; auf die Besorgten eingehen, aber auch auf diejenigen, die die Corona-Regeln vielleicht nicht insgesamt anzweifeln, aber doch manche Ausgestaltung in Frage stellen. «Corona nervt auch furchtbar», räumt Söder ein - und lässt doch keinen Zweifel, dass er gewillt ist, den Kampf zu führen.

Dass manche Entscheidungen der Staatsregierung, etwa die Öffnung der Bars und Kneipen ausgerechnet zum vergangenen Wochenende, vielleicht ein Fehler waren, lässt Söder nicht gelten. In gastronomischen Betrieben würden die Regeln überwiegend eingehalten, das werde kontrolliert, da habe es am Wochenende keine Verwerfungen gegeben.

Und doch wird auch bei Söder die Sorge im Hinterkopf mitschwingen, dass hier durch frustrierte Eltern und Unternehmer bei einem erneuten Lockdown schnell eine kritische Masse entstehen könnte. Hinzu kommt, dass das Bild des besonders «umsichtigen» Handelns, wie Söder es seit Monaten zu demonstrieren versucht, nicht mehr zur Realität passt. Denn letztlich ist wie im Frühjahr wieder Bayern das Land, das die meisten Kreise mit schlechten Zahlen hat. Vor allem Urlaubsrückkehrer haben sie wieder nach oben getrieben.

Verantwortlich für den Anstieg sind laut Söder nun zudem private Feiern und «Treffen auf Plätzen». Am Wochenende standen in München oft viele Menschen dicht an dicht. «Die Bilder vom Viktualienmarkt, die waren schon verstörend», kritisiert er. Auch auf Twitter gab es viel Kritik an diesen Fotos - während die Schüler in Bayern auf dem Pausenhof und vielerorts sogar im Unterricht Masken tragen müssen.

Dabei hatten auch Söder und die Staatsregierung in den vergangenen Wochen entschieden oder Signale gesandt, dass gewisse Lockerungen vertretbar sind, für Bars und Kneipen etwa oder für den Amateursport. Auch Christkindlmärkte erklärte Söder für möglich, unter Auflagen und wenn es das örtliche Infektionsgeschehen zulässt. Kritiker sehen darin einen eklatanten Widerspruch zu der von Söder oft wiederholten Prioritätensetzung für den Schutz von Schule, Kitas und Wirtschaft.

Bundesliga und Geisterspiele

Und dann noch die Kompromisse, die Söder und Reiter eingingen, um dem FC Bayern einen Bundesliga-Auftakt vor Zuschauern zu ermöglichen - obwohl die Zahlen des Landesamts für Gesundheit da bereits eine klare Sprache sprachen und nur die Zahlen des Robert Koch-Instituts noch hinterherhinkten. Tags darauf musste die Zusage wieder einkassiert werden. Und die Teststationen an Autobahnen, die wegen einer großen Panne im Sommer in die Schlagzeilen gerieten, sollen zum Monatsende auslaufen und durch Teststationen in den Landkreisen ersetzt werden.

Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann fordert nun, angesichts des zunehmend kritischen Infektionsgeschehens in Bayern müsse Söder «seinen nervigen Klassenprimus-Habitus endlich ablegen». «Nicht zuletzt sein Versprechen vom coronasicheren Bayern und dem angeblich gefährlichen Nicht-Bayern hat den Menschen hierzulande ein falsches und gefährliches Sicherheitsgefühl gegeben», kritisiert Hartmann.

Söder selbst sagt nun, man müsse «nachsteuern». Wenige Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit als Chef der Ministerpräsidentenkonferenz wird es auch noch einmal eine Schalte aller Regierungschefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geben. Angesichts der steigenden Corona-Zahlen auch in anderen Bundesländern sehen Merkel und Söder Gesprächsbedarf - über dem Bundesschnitt bei der Sieben-Tages-Inzidenz lagen zuletzt auch Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Doch so lange die Zahlen in Bayern und in München so hoch sind, wird vor allem Söder in der Regierungschef-Runde einiges zu erklären haben.

Söder als Kanzlerkandidat

In Berlin werden die hohen Corona-Zahlen in Bayern aber nicht mit Häme, sondern mit Sorge verfolgt. Auch in der CDU-Spitze ist keine Schadenfreude zu hören, etwa vor dem Hintergrund der anhaltend guten Werte Söders in Umfragen zur Kanzlerkandidatur der Union. Das mag damit zusammenhängen, dass manche in der großen Schwesterpartei immer noch hoffen, dass Söder doch antritt. So oder so will ihn niemand vergrätzen. Die CDU will schließlich gemeinsam mit der CSU die Bundestagswahl in einem Jahr gewinnen. Und dazu braucht sie Söder.
Von Christoph Trost, Marco Hadem und Jörg Blank, dpa

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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