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UPDATE/Entscheidung mit Tragweite: Deutschland liefert Leopard-Kampfpanzer
UPDATE: 25. Januar 2023
BERLIN (dpa) Nach wochenlangen Diskussionen zeichnet sich eine größere Allianz zur Unterstützung der Ukraine mit Kampfpanzern westlicher Bauart ab. Die USA wollen nach Berichten mehrerer US-Medien ihre Abrams-Panzer bereitstellen. 30 bis 50 Exemplare seien im Gespräch, berichtet die «New York Times». Großbritannien hat 14 Challenger-Panzer bereits zugesagt.
Es wird erwartet, dass sich am Mittwoch die Panzer-Pläne der USA und Deutschlands konkretisieren. Die Bundesregierung will laut «Spiegel», mindestens eine Kompanie mit der Version Leopard 2A6 aus Beständen der Bundeswehr ausstatten. Dafür wären 14 der Waffensysteme nötig. Das Kanzleramt äußerte sich aber zunächst nicht zu den Berichten.
Russland sieht neues Level der Konfrontation
Die russische Botschaft in Berlin nannte die deutsche Entscheidung «äußerst gefährlich». Sie hebe den Konflikt auf ein neues Level der Konfrontation, wurde Botschafter Sergej Netschajew in einer Pressemitteilung zitiert. Die Entscheidung widerspreche den Ankündigungen deutscher Politiker, sich nicht in den Konflikt hineinziehen lassen zu wollen. Deutsche Panzer würden wieder an die «Ostfront» geschickt, was nicht nur den Tod russischer Soldaten, sondern auch der Zivilbevölkerung bedeute, so Netschajew.
Kriegsrethorik von Ex-Botschafter und Grünen: Der Panzer-Doppelwumms
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte zurückhaltend. «Viele Bemühungen, Worte, Versprechen», sagte er am Dienstagabend in einer Videoansprache. Die Diskussionen um die Lieferung von Panzern müssten jetzt in Entscheidungen münden, forderte Selenskyj. «Entscheidungen, die unsere Verteidigung gegen die (russischen) Terroristen wirklich stärken.»
Geradezu euphorisch äußerte sich dagegen der umstrittene Ex-Botschafter und jetzt ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk. Auch wenn die deutsche Entscheidung mit Verspätung erfolge, sei sie «ohne jeden Zweifel ein wahrer Durchbruch sowie ein Gamechanger für die Ukraine auf dem Schlachtfeld», sagte er der dpa. «Das wird in die Geschichte eingehen.» Dass (Bundeskanzler Olaf) Scholz scheinbar sogar dabei geholfen habe, die USA von der Lieferung ihrer M1-Abrams-Panzer zu überzeugen, sei sogar «ein Panzer-Doppelwumms», sagte Melnyk. Nun sei es nötig, dass Deutschland «ein mächtiges Panzer-Bündnis» schmiedet.
Erleichterung gab es auch bei den Koalitionspartnern von Kanzler Scholz, der FDP und den Grünen, die auf eine Entscheidung für die Panzer-Lieferung gedrängt hatten.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt twitterte auf Englisch: «Der Leopard ist befreit!» Sie schrieb: «Jetzt kann er hoffentlich schnell der Ukraine bei ihrem Kampf gegen den russischen Angriff und für die Freiheit der Ukraine und Europas helfen.» Auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz begrüßte die Entscheidung, warf Kanzler Scholz aber zugleich Zögerlichkeit vor. «So bleibt das Bild eines Getriebenen, der zu lange gezögert hat», sagte er der dpa.
Doch es gab auch mahnende Stimmen. U.a. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte die Entscheidung. «Die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern, womit ein weiteres Tabu fällt, führt uns potenziell näher an den Dritten Weltkrieg als Richtung Frieden in Europa», sagte er der dpa.
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BERLIN (dpa/nf) - Nun ging es doch Schlag auf Schlag: Als erstes Land hatte Polen bei der Bundesregierung eine Liefererlaubnis für 14 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A4 an die Ukraine beantragt. Nach langem Zögern liefert Deutschland nun Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine. Auch wird anderen Ländern gestattet, solche Panzer an Kiew abzugeben.
Geplant ist wohl, mindestens eine Kompanie mit der Version Leopard 2A6 aus Beständen der Bundeswehr auszustatten. Die Ausstattung einer Kompanie bedeutet, 14 der Waffensysteme zu übergeben. Die Ukraine bittet seit Monaten um Kampfpanzer westlicher Bauart für den Kampf gegen die russischen Angreifer. Die erste offizielle Anfrage erfolgte schon eine Woche nach Kriegsbeginn Anfang März vergangenen Jahres.
Die Frontlinie in der Ostukraine hat sich seit Wochen kaum noch bewegt. Mit den Kampfpanzern hofft die Ukraine, wieder in die Offensive zu kommen und weiteres Gelände zurückzuerobern. Gleichzeitig wird für das Frühjahr eine Offensive Russlands befürchtet.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), bilanzierte: «Die Entscheidung war zäh, sie dauerte viel zu lange, aber sie ist am Ende unausweichlich. Dass Deutschland die Lieferung seines Panzers Leopard 2 durch Partnerländer freigibt und auch selbst liefert, ist eine erlösende Nachricht für das geschundene und tapfere ukrainische Volk.» Die Entscheidung bedeute einen wichtigen Schritt in der Zurückdrängung des Angriffs Russlands auf ein Nachbarland, sagte sie.
Merz: Bild des Getriebenen bleibt
Unionsfraktionschef Friedrich Merz begrüßte die Entscheidung, warf Kanzler Olaf Scholz (SPD) aber zugleich Zögerlichkeit vor. «So bleibt das Bild eines Getriebenen, der zu lange gezögert hat.»
Deutschland nimmt als Produktionsland in der Frage um die Leopard-Lieferung eine Schlüsselrolle ein. Werden Rüstungsgüter an andere Staaten verkauft, werden in die Verträge immer sogenannte Endverbleibsklauseln eingebaut. Darin ist geregelt, dass bei einer Weitergabe an dritte Länder die Bundesregierung zustimmen muss. Ein Regierungssprecher hatte am Dienstag gesagt, den Antrag der polnischen Regierung «mit der gebotenen Dringlichkeit» prüfen wollen.
Scholz stand in der Frage der Leopard-Lieferungen seit Wochen in der Kritik - vorgeworfen wird ihm ein zu zögerliches Vorgehen. Auch in der eigenen Koalition gab es Unmut. Die Regierung begründete ihr Vorgehen unter anderem mit dem Risiko einer Eskalation und der nötigen internationalen Abstimmung.
Kreml: Solche Lieferungen verheißen nichts Gutes für die Zukunft
Der Kreml warnte vor einer weiteren Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen, sollte die Bundesregierung der Lieferung von Leopard-Kampfpanzer zustimmen. «Solche Lieferungen verheißen nichts Gutes für die Zukunft der Beziehungen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Sie würden unausweichliche Spuren hinterlassen. Dabei seien die Beziehungen schon jetzt an einem gewissen Tiefpunkt.
Polen macht in der Diskussion um die Kampfpanzer-Lieferungen schon seit längerem Druck auf Deutschland. Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte am Montag gesagt, notfalls werde man auch ohne die Genehmigung Berlins handeln, womit Polen einen diplomatischen Eklat riskiert hätte. Polen will eine europäische Koalition zur Lieferung von Kampfpanzern bilden. Zunächst hatte nur Großbritannien die Lieferung von Challenger-2-Kampfpanzern zugesagt. Von den 14 europäischen Staaten, die Leopard-Panzer haben, hat neben Polen bisher nur Finnland öffentlich Bereitschaft signalisiert, einige Exemplare abzugeben.
Deutschland liefert seit Kriegsbeginn Waffen in die Ukraine. Seither wurden unter anderem schwere Artilleriegeschütze und Luftabwehrsysteme abgegeben. Zugesagt hat sie auch bereits Schützenpanzer vom Typ Marder, die deutlich weniger schlagkräftig sind als der Leopard 2.
Kampfpanzer aus den USA?
Die US-Regierung ließ am Dienstag Berichte unbestätigt, wonach sie die Lieferung von Abrams-Kampfpanzern in die Ukraine in Betracht zieht. «Ich habe zu diesem Zeitpunkt nichts anzukündigen», sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Pat Ryder, in Washington. Ryder betonte erneut, dass die M1 Abrams «komplex» seien. Deren Instandhaltung sei eine Herausforderung. «Das war gestern so, das ist heute so, und das wird auch in Zukunft so sein.» Bei der militärischen Ausrüstung zur Abwehr des russischen Angriffskriegs müsse sichergestellt sein, dass das ukrainische Militär in der Lage sei, diese zu warten, instandzuhalten und damit zu trainieren.
Die Ukraine hat aus eigenen Beständen und von Partnern («Ringtausch») hunderte Schützenpanzer sowie Kampfpanzer aus sowjetischer Entwicklung. Darunter sind ältere Kampfpanzer wie T-72 oder T-80 und - als Beute-Panzer, von russische Truppen zurückgelassen - auch das Folgemodell T-90. Westliche Kampfpanzer, hier vor allem der Leopard, sollen nun die Fähigkeit der Ukraine zur Offensive erhöhen, also zur Rückeroberung besetzter Gebiete. Diese Panzer sind vor allem in den moderneren Versionen dem russischen Gerät überlegen und können den Gegner im «Duell» vielfach zerstören. Der Leopard gilt Fachleuten dabei in seiner jeweiligen Generation als bester Kampfpanzer weltweit.
Höchstes Risiko: Die Krim
Der ehemalige Oberkommandierende der US-Armee in Europa, Ben Hodges, machte im US-Radiosender NPR deutlich, dass die Ukraine damit zu einem Schlag gegen den von Russland eroberten Korridor vom Donbass zur annektierten Halbinsel Krim ausholen könnte. Dazu könne die Ukraine mit westlichen Kampfpanzern einen schwer gepanzerter Verband bilden, «die Speerspitze einer Truppe, die die russischen Linie in Richtung Mariupol durchbrechen könnte». Und auch generell könne der Infanterie mit solchen Kampfpanzern der Weg zum Vormarsch geebnet werden.
Könnte die Bundesregierung Leopard-Panzer noch rechtzeitig zur befürchteten Frühjahrsoffensive Russlands liefern?
In Deutschland stehen Leopard-Panzer in den Werkstätten und Lagern der Industrie sowie bei der Bundeswehr. Rheinmetall-Chef Armin Papperger sagte dem «Stern», bis Ende März seien rund 29 Kampfpanzer Leopard 2A4 einsatzbereit, die für den Ringtausch mit Tschechien und der Slowakei vorgesehen sind. Weitere Leopard einsatzbereit zu machen dauert demnach. Die Bundeswehr hatte im Kalten Krieg mehr als 2100 Leopard 2 im Bestand, die im Zuge der Abrüstung verkauft, weggegeben oder zerstört wurden. Im vergangenen Jahr verfügte die Bundeswehr noch über 312 Leopard-2-Panzer, darunter aber kein einziges Modell der älteren Version Leopard 2A4, die nun für die Ukraine in den Blick genommen wird. Als noch am ehesten verzichtbar für die Bundeswehr gelten 19 Stück in der Version Leopard 2A5. Sie werden derzeit im Gefechtsübungszentrum zur «Darstellung gegnerischer Kräfte» genutzt, sollen bei Ausbildungen also den Feind darstellen.
Gibt es noch andere Kampfpanzer, die für die Ukraine von Bedeutung sind?
Großbritannien hat schon angekündigt, den Challenger 2 an Kiew geben zu wollen. Für den Einsatz der Waffensysteme ist es aber von Vorteil, wenn das Gerät möglichst einheitlich ist. Für die Instandsetzung muss das Großgerät womöglich sogar wieder aus der Ukraine herausgefahren werden. So haben der Panzerbauer KMW und das deutsche Verteidigungsministerium ein Werkstattzentrum («Hub») im Grenzgebiet der Slowakei zur Ukraine aufgebaut, um Systeme wie die Panzerhaubitze 2000 nach dem Fronteinsatz zu reparieren und Verschleißteile auszutauschen.
Wie viele Leopard-Panzer stehen zur Verfügung?
Der US-Sender ABC News berichtete am Dienstag unter Berufung auf einen ukrainischen Regierungsvertreter, dass 12 Staaten grundsätzliche Bereitschaft zur Lieferung von Leopard-Panzern signalisiert hätten, darunter auch Spanien, die Niederlande und Dänemark. Insgesamt stehe schon damit eine Zahl von 100 Leopard zur Verfügung, wird die ukrainische Seite zitiert. Die Zusicherungen seien bereits in der vergangenen Woche bei den Ukraine-Gesprächen in Ramstein gemacht worden. Nimmt man die Zahlen, müssten praktisch alle europäischen Leopard-Nutzer außer der Türkei ihre Bereitschaft signalisiert haben. Polen hat die Karten schon auf den Tisch gelegt: Die von dort zur Lieferung beantragten 14 Leopard 2A4 sind von der Zahl her ausreichend für die Ausstattung einer Kompanie. Der Leopard-Hersteller Krauss-Maffei Wegmann hat bisher deutlich über 3500 Leopard 2 gebaut, wobei der Großteil von Ländern zur eigenen Verteidigung eingeplant ist.
Wie ist die Stimmung in Deutschland?
Eine mögliche Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine ist - so eine Umfrage - in der deutschen Bevölkerung umstritten. 46 Prozent der Befragten im aktuellen «Deutschlandtrend» für das ARD-«Morgenmagazin» sprechen sich dafür aus, fast ebenso viele sind dagegen (43 Prozent). Die verbleibenden 11 Prozent können oder wollen sich nicht festlegen. Vor allem im Osten Deutschlands sind die meisten Befragten dagegen (32 zu 59 Prozent).
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