Rund 1300 Vermisste bei Flut-Katastrophe
Bisher mehr als 80 Hochwasser-Tote
KOBLENZ/DÜSSELDORF(dpa) - Mehr als 80 Menschen sind bislang bei der Hochwasserkatastrophe im Westen von Deutschland ums Leben gekommen. Weitere Todesopfer sind zu befürchten - allein im Kreis Bad Neuenahr-Ahrweiler in Nordrhein-Westfalen werden rund 1300 Menschen vermisst.
Die Wassermassen wälzen sich regelrecht durch die Straßen, ganze Orte versinken in braunen Fluten. Das, was die meisten Menschen in Deutschland bislang nur aus weiter Ferne kannten, ist plötzlich ganz nah.
Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) rechnet bei den Bergungsarbeiten in Rheinland-Pfalz damit, dass Rettungskräfte weitere Tote finden. Die Zahl von 50 Toten sei inzwischen überschritten, sagte Lewentz im Deutschlandfunk.
In Nordrhein-Westfalen meldet das Innenministerium am Abend 30 Tote und 57 Verletzte. Im besonders betroffenen Kreis Bad Neuenahr-Ahrweiler verweist eine Sprecherin darauf, dass viele Menschen wegen des lahmgelegten Mobilfunknetzes nicht erreichbar seien. "Wir hoffen, dass sich das klärt", sagt sie zur hohen Zahl von Vermissten.
Rurtalsperre in NRW läuft über
Und obwohl die heftigen Unwetter vorüber sind, ist die Gefahr nicht gebannt: Seit kurz vor Mitternacht läuft die Rurtalsperre in NRW über, "mit einer geringen Dynamik", wie der Wasserverband Eifel-Rur (WVER) mitteilt. Dadurch sei im Unterlauf der Rur mit Überschwemmungen sowie Überflutungen von Häusern und Kellern zu rechnen.
Der Wasserverband warnt, Menschen sollten sich nicht in Flussnähe aufhalten, da die Gefahr bestehe, mitgerissen zu werden. Auch sollten vollgelaufene Keller nicht betreten werden, weil die Gefahr von Stromschlägen bestehe. An besonders von Hochwasser betroffenen Stellen sei mit Evakuierungen zu rechnen.
Im heftig betroffenen Kreis Euskirchen in NRW soll ein Gutachter am Freitag erneut die Steinbachtalsperre unter die Lupe nehmen. Der Wasserstand war am Donnerstagabend durch Abpumpen zwar gesunken. Die Brauchwasser-Talsperre, deren Damm tiefe Furchen aufweist, war von einem Sachverständigen am Vortag als "sehr instabil" eingestuft worden. Deswegen wurden aus Sicherheitsgründen mehrere Ortschaften evakuiert. Betroffen waren rund 4500 Einwohner.
900 Soldaten in den Katastrophengebieten
Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) unterstützt die betroffenen Regionen unter anderem mit Satellitenbildern. "Erste Satellitenbilder aus den vom Unwetter betroffenen Gebieten werden seit heute Morgen aufgenommen. Diese Bilder werden, sobald verfügbar, den Beteiligten im Krisenmanagement zur Verfügung gestellt", sagt Vizepräsident Thomas Herzog dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die Rettungskräfte setzen unterdessen die Suche nach Vermissten fort. Die Bundeswehr hat zur Unterstützung inzwischen rund 900 Soldaten in die Katastrophengebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geschickt.
Das BBK kümmere sich zudem auch um die Koordinierung von Hilfen, beispielsweise von Helikoptern zur Rettung von Menschen oder Zapfstellen zur Abgabe von Trinkwasser.
Merkel sichert Hilfe zu
Kanzlerin Merkel versichert bei ihrem Besuch in den USA mit Blick auf die Betroffenen: "Wir werden sie in dieser schwierigen, schrecklichen Stunde nicht alleine lassen und werden auch helfen, wenn es um den Wiederaufbau geht." Die Kanzlerin lässt sich nach eigenen Angaben fortlaufend über die Lage in den Hochwassergebieten informieren.
Die Schäden durch die Wassermassen sind in beiden Ländern immens. Das Land Rheinland-Pfalz stellt als kurzfristige Unterstützung 50 Millionen Euro bereit, um etwa Schäden an Straßen, Brücken und anderen Bauwerken zu beheben. Auch die Bundesregierung plant Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zufolge ein Hilfsprogramm.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagt der Deutschen Presse-Agentur, die Menschen, die um ihre finanzielle Existenz fürchteten, bräuchten schnell Klarheit. Aufräumarbeiten und Wiederaufbau gelängen nur mit großer Solidarität.
Grünen-Chef Robert Habeck spricht sich für die Auflage eines Hilfsfonds aus. "Ich fände es richtig, wenn wir jetzt sehr schnell einen Hilfsfonds auflegen, wie es 2013 auch nach dem großen Elbhochwasser der Fall war", sagt er der «Welt». "Wir müssen den Menschen in einer solchen Notsituation schnell und unbürokratisch unter die Arme greifen, und ein Teil des Geldes dafür muss aus dem Bundeshaushalt kommen."
Sondersitzung zu Hilfen
Das nordrhein-westfälische Kabinett berät heute in einer Sondersitzung über die Lage und Hilfen für die betroffenen Kommunen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagt in der ZDF-Sendung «maybrit illner», es müssten Wege gefunden werden, sehr schnell wieder Straßen, Brücken und andere Infrastruktur in Gang zu setzen. Das Land werde helfen, nötig sei aber auch "eine große nationale Kraftanstrengung, damit schnell die schlimmsten Dinge beseitigt werden".
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) will sich am Morgen in Trier über die Situation in ihrer Heimatstadt informieren. Wegen des starken Hochwassers im Mosel-Nebenfluss Kyll waren in Trier und Umgebung Tausende Menschen in Sicherheit gebracht worden, auch ein Krankenhaus musste evakuiert werden. An allen Behörden in Rheinland-Pfalz werden die Fahnen heute auf halbmast gesetzt.
Auch Nachbarländer kämpfen mit Hochwasser
Ebenfalls mit Hochwasser zu kämpfen haben Nachbarländer Deutschlands. In der Schweiz stiegen Flusspegel nach starken Regenfällen stark an. Im Kanton Schaffhausen überschwemmten laut der Nachrichtenagentur Keystone-sda angeschwollene Bäche die Dörfer Schleitheim und Beggingen. Wassermassen flossen durch Straßen, in Keller, rissen Fahrzeuge mit und zerstörten kleinere Brücken.
In Belgien wurden entlang der Maas vorbeugend Menschen aus einigen Gemeinden in Sicherheit gebrach.
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