Forderung nach einer Pflegevollversicherung
Sozialbündnis macht Druck auf Ampel-Regierung

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer Paritätischer Gesamtverband, stellt auf einer Pressekonferenz Ergebnisse einer Umfrage zu Kosten der Pflege sowie gemeinsame Forderungen vor. | Foto: Kay Nietfeld/dpa
  • Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer Paritätischer Gesamtverband, stellt auf einer Pressekonferenz Ergebnisse einer Umfrage zu Kosten der Pflege sowie gemeinsame Forderungen vor.
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BERLIN (dpa) - Ein Bündnis aus Sozialverbänden und Gewerkschaften macht angesichts immer höherer Zuzahlungen Pflegebedürftiger Druck für eine Vollversicherung, die alle Pflegekosten übernimmt. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sagte am Donnerstag in Berlin, die Eigenanteile hätten inzwischen eine Größenordnung erreicht, die Pflege zum Armutsrisiko werden ließen. Es sei höchste Zeit, dass die Bundesregierung den Menschen mit einer Pflegevollversicherung endlich Sicherheit gebe.

Das Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Verdi, Sylvia Bühler, forderte, Pflegebedürftige und Beschäftigte dürften nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Die Logik müsse durchbrochen werden, wonach jede Verbesserung bei Arbeitsbedingungen und Löhnen zu höheren Kosten bei den Pflegebedürftigen führe. Manfred Stegger, Vorsitzender des Biva-Pflegeschutzbundes, der Interessen Pflegebedürftiger vertritt, mahnte: «Sozialhilfe ist kein würdiger Ersatz für Ansprüche aus eigenen Beitragszahlungen.» Laut einer Umfrage, die das Bündnis in Auftrag gab, unterschätzen viele, wie hohe finanzielle Belastungen bei der Pflege einmal auf sie zukommen.

Kosten steigen rapide

Hintergrund der Forderungen ist, dass die Pflegeversicherung - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Die Zuzahlungen aus eigener Tasche dafür steigen seit Jahren. Für Heimbewohner kommen steigende Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen noch hinzu. Zuletzt waren im ersten Heim-Jahr im bundesweiten Schnitt insgesamt 2548 Euro pro Monat fällig - 348 Euro mehr als Mitte 2022, wie eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen zum 1. Juli ergab.

Belastungen nehmen damit trotz 2022 eingeführter Entlastungszuschläge weiter zu. Hintergrund sind auch höhere Personalausgaben. Denn seit September 2022 müssen alle Einrichtungen Pflegekräfte nach Tarif oder ähnlich bezahlen, um mit den Pflegekassen abrechnen zu können. Die Entlastungszuschläge sollen nach einer kürzlich beschlossenen Pflegereform der Ampel-Koalition 2024 steigen. Den Eigenanteil für die reine Pflege soll das im ersten Heim-Jahr um 15 statt bisher 5 Prozent drücken, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent.

Wird Pflegeversicherung ihrem Namen nicht gerecht?

Linke-Chefin Janine Wissler forderte eine Pflegeversicherung, die den Namen verdient. «Das derzeitige Modell ist eine Pflegeverunsicherung. Es vergrößert die Angst vorm Alter, weil viele Menschen fürchten, die steigenden Pflegekosten irgendwann nicht mehr zahlen zu können.» Beitragserhöhungen beseitigten nicht die chronische Unterfinanzierung der Pflege. Der Verband der Privaten Krankenversicherung monierte, eine Vollversicherung bedeutete Zusatzlasten für die Beitragszahler, aber keine gezielte Hilfe für ärmere Pflegebedürftige. Damit erhielte «die vermögendste Rentnergeneration aller Zeiten» zusätzliche Leistungen aus der Gießkanne, obwohl die meisten in Eigenverantwortung für ihre Pflegekosten selbst vorsorgen könnten.

Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) kritisierten mit Blick auf die Etatpläne der Regierung, mit der vorgesehenen Streichung des Bundeszuschusses zur Pflegeversicherung bis einschließlich 2027 werde der Anteil des Bundes an der Finanzierung der Pflegekosten auf Null gesetzt. «Steigende Kosten werden ausschließlich den Beitragszahlenden und Pflegebedürftigen aufgebürdet», sagte die Chefin des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann.

Private Altenpflegeanbieter forderten einen Pflegegipfel. In diesem Jahr seien schon mehr als 450 Pflegeeinrichtungen in Insolvenz gegangen oder hätten schließen müssen, teilte der Arbeitgeberverband Pflege mit. «Viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen suchen verzweifelt einen Platz im Pflegeheim.» Die Bundesregierung müsse kurzfristig die Insolvenzwelle brechen und langfristig dafür sorgen, dass alle die Versorgung bekämen, die sie verdienten.

Autor:

Victor Schlampp aus Schwabach

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