Großbritanniens Wirtschaft vor dem Kollaps?
Warnung an andere europäische Länder

Jeremy Hunt, Finanzminister von Großbritannien, bei seiner Ankunft in der Downing Street. | Foto: Victoria Jones/PA Wire/dpa
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LONDON (dpa/vs) - Wie unter anderem hemmungsloses Schuldenmachen und eine falsche Geldpolitik dafür verantwortlich sind, dass ein einst wohlhabendes Land Richtung Abgrund zu taumeln droht, zeigt aktuell Großbritannien. Wie konnte es nur soweit kommen, und was will der neue britische Finanzminister dagegen tun?

Von Benedikt von Imhoff, dpa

Es heißt schlicht «Herbst-Statement». Doch was der britische Finanzminister Jeremy Hunt am Donnerstag vorlegen wird, könnte für Regierung und Verbraucher zu einer Winter-Bombe werden. Für Hunt geht es um nicht weniger als die Rettung der heimischen Wirtschaft. Ohnehin erhöhen die Furcht vor einer lang andauernden Rezession, die grassierende Inflation und hohe Energiekosten den Druck. Wegen der desaströsen Finanzpolitik von Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss müssen Hunt und Regierungschef Rishi Sunak aber nun auch noch die Märkte beruhigen. Die Rechnung bekommen die Verbraucher gegen Mittag präsentiert.

«Meine absolute Priorität ist, dafür zu sorgen, dass wir mit der wirtschaftlichen Situation, mit der wir zu Hause konfrontiert sind, fertig werden», kündigte Premier Sunak an. Vor allem die Inflation wolle er in den Griff bekommen. Im Oktober stiegen die Verbraucherpreise um 11,1 Prozent, deutlich höher als erwartet. Die Nachricht sorgte am Dienstag für Schockwellen im Königreich.

Schon jetzt ist sicher, dass so gut wie alle Britinnen und Briten deutliche Reallohnverluste hinnehmen müssen. Immer wieder hat die Regierung betont, Lohnerhöhungen im Einklang mit der Inflation würden die Verbraucherpreise nur noch weiter antreiben. Doch angesichts steigender Lebenskosten müssen Sunak und Hunt genau überlegen, wo sie ihren Bürgern noch etwas mehr wegnehmen oder vorenthalten.

40 Milliarden Pfund fehlen

Dass er die Steuern erhöhen werde, für die Wohlhabenderen etwas mehr als für die anderen, hat der Schatzkanzler bereits angedeutet. Zudem werden wohl die öffentlichen Ausgaben deutlich gekürzt. So erhält der marode Gesundheitsdienst NHS zwar neue Milliarden, aber nicht so viele wie nötig wären. Die Opposition fordert, Hunt solle eher die Übergewinnsteuer ausweiten als Geringverdiener zur Kasse zu bitten. Klar ist: Hunt sucht viel Geld. Das Haushaltsloch beträgt rund 40 Milliarden Pfund (45,9 Mrd Euro), nötig sind aber wohl noch einige Milliarden mehr, um angesichts der Inflation einen Puffer zu haben.

Ursprünglich war das Herbst-Statement für den 23. November geplant, dann auf den 31. Oktober vorgezogen worden. Die finanzpolitischen Vorhaben von Sunaks Vorgängerin Truss hatten an den Finanzmärkten heftige Turbulenzen ausgelöst. Truss wollte radikal Steuern senken und diese erwarteten Kosten in Höhe von mehreren Dutzend Milliarden Pfund nur mit neuen Schulden gegenfinanzieren. Damit räumte Hunt schnell auf. Doch das Vertrauen der Wirtschaft ist noch immer gering. Sunak räumte ein, dass es in erster Linie darum gehe, den Erwartungen der Finanzmärkte entgegenzukommen.

Kritik an «Eitelkeitsprojekt»

«Wenn wir einmal das stabile Fundament haben, für das der Schatzkanzler morgen sorgen wird, bin ich zuversichtlich, dass wir als Land vorangehen können und uns auf eine bessere Zukunft freuen und auf diesem Fundament aufbauen können, um Arbeitsplätze, Chancen und Wohlstand im ganzen Land zu schaffen», hat Sunak angekündigt. Der Druck auf Hunt ist entsprechend groß. Mittlerweile gibt es aber auch Gegenwind in seiner Konservativen Partei. Die Abgeordnete und frühere Staatssekretärin Esther McVey forderte, Hunt solle das Megaprojekt einer Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Nordengland streichen, das Dutzende Milliarden verschlingt. Solange dieses «Eitelkeitsprojekt» nicht abgesagt werde, werde sie keine Steuererhöhungen unterstützen.

Die Zustimmung seiner Fraktion wird die Gretchenfrage für Hunt, zumal viele Konservative strikte Gegner höherer Steuern sind und die Steuerlast ohnehin schon jetzt so groß ist wie nie seit 70 Jahren. «Sunaks politische Flitterwochen enden morgen», kommentierte der «Telegraph»-Reporter Christopher Hope am Dienstag.

Bei der Opposition hat Hunt schon verloren. Die Tories wollten der Bevölkerung weismachen, dass die wirtschaftlichen Probleme außerhalb ihrer Macht liegen, sagte die Vizechefin der Labour-Partei, Angela Rayner. Dabei lasse sie die arbeitenden Menschen den Preis für ihre Politik zahlen. «Sie haben sich entschieden, Unternehmensgewinne zu schützen und nicht die Haushaltseinkommen», sagte Rayner. Für die Zukunft sehe sie schwarz. Falls es eine «Weltmeisterschaft des Wachstums» gebe, würde sich Großbritannien nicht qualifizieren.

UPDATE mit aktuellen Zahlen - Damit muss die Bevölkerung jetzt rechnen

Von Benedikt von Imhoff, dpa

Es heißt schlicht «Herbst-Statement». Doch was der britische Finanzminister Jeremy Hunt vorgelegt hat, könnte für Regierung und Verbraucher zu einer Winter-Bombe werden. Für Hunt geht es um nicht weniger als die Rettung der heimischen Wirtschaft. Ohnehin erhöhen die Furcht vor einer lang andauernden Rezession, die grassierende Inflation und hohe Energiekosten den Druck. Wegen der desaströsen Finanzpolitik von Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss müssen Hunt und Regierungschef Rishi Sunak aber nun auch noch die Märkte beruhigen. Die Rechnung zahlen die Verbraucher, wie die Opposition kritisierte.

Seine Priorität laute «Stabilität, Wachstum und öffentliche Dienstleistungen», sagte Hunt im Londoner Unterhaus. Mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Höhe von insgesamt 55 Milliarden Pfund (62,9 Mrd Euro) will er vor allem die Staatsfinanzen ausgleichen, die Märkte beruhigen und die Inflation in den Griff bekommen. Zwar kündigte Hunt zugleich mehr Ausgaben für den maroden Gesundheitsdienst NHS sowie Schulen an. Die Renten sollen im Einklang mit der Inflation steigen und der Mindestlohn um knapp 10 Prozent auf 10,42 Pfund pro Stunde.

Zunehmender Druck auf Verbraucher

Doch tatsächlich nimmt der Druck auf die Verbraucher zu, wie Ökonomen betonen. Der Chef der Denkfabrik Resolution Foundation, Torsten Bell, verwies auf Schätzungen der Aufsichtsbehörde Office for Budget Responsibilty (OBR), dass die Haushaltseinkommen 2022 und 2023 jeweils um sieben Prozent fallen. Zudem müssen sich Millionen Menschen auf weiter steigende Energierechnungen einstellen, wenn die Regierung von April 2023 an ihre Unterstützung zurückfährt. Hinzu kommen höhere Steuern für Millionen. Hunt senkt die Schwelle, von der an der Spitzensteuersatz von 45 Prozent gezahlt werden muss, von 150 000 auf 125 140 Pfund. Vor allem aber friert er die Steuerfreibeträge für zwei weitere Jahre bis 2028 ein - wegen steigender Inflation und Löhne werden viele Menschen in höhere Steuerklassen rutschen.

Die Lage ist düster. Großbritannien befinde sich bereits in einer Rezession, sagte Hunt unter Berufung auf eine OBR-Prognose. Für das kommende Jahr erwarten die Experten, dass die britische Wirtschaft um 1,4 Prozent schrumpft. Die Inflation betrug zuletzt 11,1 Prozent, so viel wie seit 41 Jahren nicht mehr. In zahlreichen Branchen streiken die Beschäftigten für höhere Löhne, die Ausstände belasten die Konjunktur schwer, wie das Statistikamt kürzlich ermittelte.

Vorgezogenes Herbst-Statement

Ursprünglich war das Herbst-Statement für den 23. November geplant, dann auf den 31. Oktober vorgezogen worden. Die finanzpolitischen Vorhaben von Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss hatten an den Finanzmärkten heftige Turbulenzen ausgelöst. Truss wollte radikal Steuern senken und diese erwarteten Kosten in Höhe von mehreren Dutzend Milliarden Pfund nur mit neuen Schulden gegenfinanzieren. Damit räumte Hunt schnell auf. Doch das Vertrauen der Wirtschaft ist noch immer gering. Truss-Nachfolger Rishi Sunak räumte ein, es gehe in erster Linie darum, den Erwartungen der Märkte zu entsprechen.

Der Druck auf Hunt ist entsprechend groß. Spannend wird sein, ob seine konservative Parlamentsfraktion mitzieht. Denn zwischen Sunak und den Vertrauten seiner Vorgängerin Truss herrscht derzeit ein fragiler Friede. Viele Konservative sehen die Steuererhöhungen, die mit einer Erhöhung der Übergewinnsteuer auch Energiekonzerne treffen, äußerst kritisch. Schon jetzt ist die Steuerlast so hoch wie seit 70 Jahren nicht mehr.

Bei Opposition bereits verloren

Bei der Opposition hat Hunt bereits verloren. Dass er zuvorderst die vom russischen Krieg gegen die Ukraine ausgelöste Wirtschaftskrise verantwortlich machte, sorgte für Empörung. Es seien die Tories, die in den zwölf Jahren ihrer Regierung die Wirtschaft zerstört hätten, sagte die Finanzpolitikerin Rachel Reeves von der Labour-Partei und verglich die Regierungspartei mit Taschendieben. Gut verdienende Banker, deren Obergrenze für Bonuszahlungen gestrichen wird, sowie reiche Ausländer, die ihre Einkommen nicht in Großbritannien versteuern müssen, kämen ungeschoren davon, während hart arbeitende Menschen die Zeche zahlen müssten, kritisierte Reeves.

In Umfragen liegt Labour deutlich vor den Tories und könnte nach der für 2024 geplanten Wahl die Regierung stellen. Doch dann droht den Sozialdemokraten eine Falle, die ihnen Hunt gestellt hat. Der Schatzkanzler kündigte am Donnerstag an, dass die Regierungsausgaben real nur noch um 1 Prozent pro Jahr zulegen dürfen, derzeit sind es 3,7 Prozent. Doch das gilt erst von 2025 an - also nach der Wahl.

Autor:

Victor Schlampp aus Schwabach

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