Türkei und Syrien: Hilfe nach Horror-Erdbeben
Was Deutschland macht, und warum die Situation so schwierig ist

Durch das schwere Erdbeben zerstörte Gebäude im türkischen Malatya. | Foto: Emrah Gurel/AP/dpa
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ISTANBUHL/DAMASKUS (dpa/vs) - Wenn eine Naturkatastrophe die Welt heimsucht, dann stehen die Zeiger der Uhren politischer Streitereien, Machtgelüste und anderer Egoismen in den betroffenen Ländern häufig für kurze Zeit still. Dann sind  schnelle Hilfe und Solidarität gefragt, wie jetzt im Nachgang des verheerenden Erdbebens, welches das Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien heimgesucht hat. Ein aktueller Lagebericht über Lebensretter und Krisengewinner.

Von Mirjam Schmitt, Anne Pollmann und Johannes Sadek, dpa

Istanbul/Damaskus (dpa) - Mindestens 8500 Menschen haben bei der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und Syrien ihr Leben verloren. Und die Schreckensmeldungen neuer Opferzahlen dürften auch zwei Tage nach dem Unglück nicht abreißen. Fieberhaft suchen Helfer derweil weiter nach Menschen unter den Trümmern. Ein Kampf gegen die Zeit - und gegen eisige Temperaturen.

Vor Ort erschwert zudem die politische Lage die Hilfen - so etwa am einzigen offenen Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien. Wegen Straßenschäden verzögere sich dort die Lieferung humanitärer Hilfe, sagten UN-Quellen der Deutschen Presse-Agentur. Aus der Gegend des Grenzübergangs hieß es, einige Hauptstraßen auf dem Weg zur Grenze hätten durch die Beben Risse oder andere Schäden erlitten.

Bab al-Hawa ist der letzte von einst vier Grenzübergängen, über den Hilfen auch in die Teile Syriens gelangen können, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Hilfsgüter, die über die Hauptstadt Damaskus ins Land kommen, werden von der Regierung von Präsident Baschar al-Assad verteilt. Es gab mehrfach Berichte darüber, dass die Regierung sich daran selbst bereichert etwa durch den Verkauf ans eigene Volk - oder dass bei der Verteilung Gebiete übergangen werden, die die Regierung als verfeindet betrachtet. Der Grenzübergang gilt deshalb als Lebensader für die Menschen im Nordwesten des Landes.

Auch deutsche Hilfe auf dem Weg

In der Türkei rückt aus dem Ausland immer mehr Unterstützung an. So brach etwa am Flughafen Köln/Bonn am frühen Mittwochmorgen ein 50-köpfiges Team des Technischen Hilfswerks (THW) ins Katastrophengebiet auf. Helfer der deutschen Organisation I.S.A.R. waren unterdessen an der Rettung einer verschütteten Frau beteiligt, wie die Organisation mitteilte, die in der heftig getroffenen Stadt Kirikhan nahe der türkisch-syrischen Grenze hilft.

Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay teilte am späten Dienstagabend mit, in der zweiten Nacht liefen die Bergungsaktivitäten immer noch auf Hochtouren. «Diese Arbeiten werden fortgesetzt, bis wir den letzten Bürger unter den Trümmern erreicht haben.»

Der türkische Oppositionsführer warf Präsident Recep Tayyip Erdogan Versagen beim Krisen-Management vor. «Wenn jemand hauptverantwortlich für diesen Verlauf ist, dann ist es Erdogan», sagte Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, in einem Video, das er am frühen Mittwochmorgen auf Twitter teilte. Erdogan habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten.

Schwerpunkt liegt auf drei Provinzen

Nach Angaben von Vizepräsident Oktay sind rund 16.150 Rettungs- und Suchteams im Einsatz - sie seien in alle betroffenen Provinzen und Bezirke entsandt worden. Insgesamt seien rund 60.000 Helfer vor Ort. Der Regierungspolitiker sagte, dass in der Nacht zu Mittwoch internationale und lokale Teams vor allem in die Provinzen Adiyaman, Hatay und Kahramanmaras gebracht würden, teils auf dem Luftweg. Die Wetterbedingungen ließen solche Flüge zu, was die Arbeit erleichtere.

Für viele Menschen kam indes jede Hilfe zu spät. Am Mittwoch stieg die bestätigte Zahl der Todesopfer auf 8504. Insgesamt 41.654 Menschen wurden verletzt. Alleine in der Türkei gibt es nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde Afad vom Mittwoch 6234 Tote und 37.000 Verletzte zu beklagen. In Syrien starben laut dem dortigen Gesundheitsministerium sowie der Rettungsorganisation Weißhelme 2270 Menschen.

Die Bergungsarbeiten sind ein Rennen gegen die Zeit: Die kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt normalerweise bei 72 Stunden - so lange kann ein Mensch in der Regel ohne Wasser überleben. Temperaturen um den Gefrierpunkt machten den Überlebenden im Katastrophengebiet zusätzlich zu schaffen, viele haben kein Dach mehr über dem Kopf.

Noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern?

Mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte das Beben am frühen Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Am Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein.

Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete in dem Land ist die von Rebellen kontrollierte Region Idlib.

In Syrien war nach Protesten gegen die Regierung 2011 ein Bürgerkrieg ausgebrochen, in dem viele ausländische Staaten eingriffen und in dem über ein Jahrzehnt mehr als 350 000 Menschen getötet wurden. Die Assad-Regierung beherrscht inzwischen wieder rund zwei Drittel des zersplitterten Landes. Die Erdbeben-Katastrophe traf im Norden Gebiete unter verschiedener Kontrolle, was Helfern die Arbeit zusätzlich erschwert.

Autor:

Victor Schlampp aus Schwabach

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