Mehr verborgene Gentechnik im Essen?
EU will Kennzeichnungspflicht aufweichen
BRÜSSEL (dpa/vs) - Seit Jahren werben Unternehmen und Interessensvertreter dafür, die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel aufzuweichen. Jetzt bekommen sie Unterstützung aus den Reihen der EU-Kommission. Verbraucher- und Umweltschützer sind dagegen alarmiert.
Zahlreiche gentechnisch veränderte Lebensmittel könnten einem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zufolge künftig ungekennzeichnet auf den Tellern von Bürgerinnen und Bürgern landen. Das geht aus einem bislang unveröffentlichten Verordnungsentwurf der Kommission hervor, der der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt.
Demnach will die Behörde vorschlagen, bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen von den strengen EU-Gentechnikregeln auszunehmen. Offiziell vorgestellt werden soll das Vorhaben voraussichtlich im Juli.
Ausnahmen für Crispr/Cas
Konkret bedeuten die geplanten Regeln, dass etwa Verfahren wie die Crispr/Cas-Genschere keinen EU-Gentechnikregeln unterliegen, wenn die dadurch entstandene Sorten auch durch Verfahren wie Kreuzung oder Auslese hätten entstehen können. Solche Züchtungen würden den Plänen zufolge unter die sogenannte Kategorie 1 der durch neue Techniken (NGT) gezüchteten Pflanzen fallen. Für die Bio-Landwirtschaft gelten die strengen Gentechnikregeln dem Vorhaben zufolge weiterhin.
In Artikel 8 des Entwurfs heißt es: Die Mitgliedstaaten dürften die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von NGT-Pflanzen des Typs 1 nicht durch Anforderungen verbieten oder einschränken. Der Grünen-Bundestagabgeordnete Karl Bär sieht darin einen «Frontalangriff» auf das Modell der europäischen Landwirtschaft.
«Gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen»
«Pflanzen mit bis zu 20 gentechnischen Veränderungen sollen als gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen gelten», sagte der gelernte Agrarökonom zu den bekanntgewordenen Entwürfen. Darunter seien auch Veränderungen, die weit über das Potenzial der klassischen Züchtungen hinaus gingen. Lebensmittel aus diesen Pflanzen würden ungekennzeichnet auf dem Teller von Verbraucherinnen und Verbrauchern landen. «Der Vorschlag wäre das Ende der ökologischen Landwirtschaft», befürchtet er. Diese müsste sich mit immer mehr Aufwand vor Kontamination etwa durch von Wind verwehten Samen schützen.
Durch die Verordnung solle den Mitgliedsstaaten verboten werden, Maßnahmen zum Schutz von Ökolandbau, sensiblen Gebieten oder gentechnikfreien Regionen zu ergreifen. «Die Europäische Kommission scheint vollständig vor den Gentech-Konzernen eingeknickt zu sein», kritisierte Bär.
Wie verhält sich die Ampel-Koalition?
Ob sich die Bundesregierung, an der auch die Grünen beteiligt sind, jedoch gegen das Vorhaben stark macht, ist unklar. Das von den Grünen geführte Bundesumweltministerium hatte sich in der Vergangenheit zwar skeptisch zu Lockerungen der Gentechnikregeln geäußert, dagegen signalisierte das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium grundsätzliche Unterstützung. Auch weitere FDP-Politiker wie der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, und Fraktionsvize Carina Konrad stehen neuen Gentechnik-Verfahren offen gegenüber.
Sie verweisen auf mögliche Vorteile der neuen Gentechnikmethoden, die zu weniger Pestizideinsatz und widerstandsfähigeren Pflanzen führen könnten. Vogel betonte in einem Positionspapier: «Wir müssen endlich aufhören, Grüne Gentechnik zu verteufeln und als unnatürlich darzustellen. Wir müssen den Fortschritt begrüßen und ihn nutzen, um unsere Zukunft besser zu machen.»
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