Kehrtwende in der Schuldenbremse mit Merz
Ökonomen: Hochschuldenstaat Deutschland - und die Folgen

Die Bundeswehr braucht viel Geld. Merz spricht von globalen Bedrohungen. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll so angepasst werden, dass Verteidigungsausgaben ausgenommen sind, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Nach oben soll das nicht gedeckelt werden, ermöglicht also theoretisch unbegrenzte Kredite. | Foto: picture alliance / dpa
  • Die Bundeswehr braucht viel Geld. Merz spricht von globalen Bedrohungen. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll so angepasst werden, dass Verteidigungsausgaben ausgenommen sind, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Nach oben soll das nicht gedeckelt werden, ermöglicht also theoretisch unbegrenzte Kredite.
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  • 500 Milliarden Euro für Infrastruktur plus Lockerung der Schuldenbremse. 
  • Das geplante Finanzpaket von Union und SPD dürfte die Wirtschaft stützen, aber große Risiken bringen - bis hin zu Verbrauchern.

Frankfurt/Main (dpa) - Ökonomen erwarten mit dem geplanten riesigen Finanzpaket von Union und SPD zu Verteidigung und Infrastruktur einen Schub für die Konjunktur - aber auch immense Nebenwirkungen. Ein Überblick über die möglichen Folgen für Wirtschaft und Verbraucher.

Eine zügige Umsetzung des Haushaltspakets dürfte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland bis 2027 um bis zu einen Prozentpunkt pro Jahr erhöhen, schätzt Sven Jari Stehn, Chefvolkswirt Europa bei der Investmentbank Goldman Sachs. Allerdings würde auch die staatliche Schuldenquote von zuletzt gut 62 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung auf 67,6 Prozent steigen.

Finanzpaket Treiber für Konjunktur - und Inflation?

Zwar würden die finanzpolitischen Großprojekte der künftigen Regierung die stagnierende Wirtschaftsleistung über mehrere Jahre kräftiger steigen lassen, meint Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank. Allerdings könne das mit einem Anstieg der Inflation, getrieben von höheren Löhnen und einer höheren wirtschaftlichen Nachfrage, einhergehen.

Deutschland könnte 2034 Hochschuldenstaat sein

Friedrich Heinemann, Ökonom am ZEW Mannheim, warnt vor den Lockerungen der Schuldenbremse. Nehme man das geplante Infrastruktur-Sondervermögen und die angedachten neuen Verschuldungsmöglichkeiten der Länder hinzu, öffne sich ein «gewaltiges Verschuldungsfenster».

In Summe könnte Deutschland auf Dauer in einer konjunkturellen Normallage verfassungskonform vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts schuldenfinanzieren. «Damit würde sich Deutschland rasch zu den Hochschuldenstaaten der EU gesellen, schon 2034 wird die Schulden-BIP-Quote dann 100 Prozent erreichen.»

Union und SPD wollen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben lockern. Außerdem soll ein Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden. Es soll eine Laufzeit von 10 Jahren haben. 

Finanzoffensive als Stimmungsaufheller für Unternehmen

Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, sieht in den Plänen «eine echte Zeitenwende auch für die Finanzpolitik». Damit «könnten viele der Bremsklötze entfernt werden, die die deutsche Wirtschaft zuletzt am Wachsen gehindert haben».

Dullien zufolge dürfte sich die Stimmung der Unternehmen schnell aufhellen, weil sich absehbar die Standortbedingungen verbesserten. Und Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank meint: «Es sind die richtigen Schritte. Klein-Klein geht in Anbetracht der geopolitischen Entwicklungen nicht mehr.»

Folgen für Geldpolitik und Bauzinsen

Der Ausgabenschub könnte die Renditen deutscher Staatsanleihen merklich nach oben treiben, vermutet DZ-Bank-Chefvolkswirt Holstein. Denn vermutlich müsste der Staat bei Flut neuer Anleihen Investoren mit höheren Zinsen locken.

Da sich die Bauzinsen an der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen orientieren, würden das Hausbauer in Form höherer Kreditkosten spüren. Zudem könnte das Risiko eines Inflationsanstiegs die Europäische Zentralbank (EZB) «schon im Frühjahr dazu veranlassen, die Zinsen weniger stark zu senken als bislang vermutet».

Außenhandelsverband: Staat kein guter Investor

Während die Bauwirtschaft das vorgestellte Finanzpaket für die Infrastruktur als «historische Chance» sieht, warnt Dirk Jandura, Präsident des Außenhandelsverbands BGA: «Der Staat ist ein schlechter Investor.» Mehr Schulden bedeuteten nicht mehr Wettbewerbsfähigkeit: «Geld löst keine strukturellen Probleme.»

Glaubwürdigkeit eines Heiratsschwindlers

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat der Union eine Wählertäuschung bei der Bundestagswahl vorgeworfen. CDU und CSU hätten im Wahlkampf auf die Schuldenbremse beharrt, nun werde wenige Tage nach der Wahl quasi als erste Amtshandlung «die Schuldenbremse pulverisiert», sagte Aiwanger bei der Aschermittwochs-Veranstaltung seiner Partei in Deggendorf.

«Das ist die Glaubwürdigkeit eines Heiratsschwindlers», meinte er, nachdem Union und SPD zuvor Hunderte Milliarden neue Schulden für Verteidigung und die Infrastruktur angekündigt hatten.

Es habe die vergangenen Jahre ein «politisches Totalversagen» gegeben, als die Bundeswehr zurückgeschraubt worden sei und Verteidigungsausgaben eingespart worden seien. Dafür sei auch die heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) als frühere Verteidigungsministerin in Berlin verantwortlich. «Sie ist aus dem Amt geschieden mit der Beurteilung Komplettversagen», sagte Aiwanger. Von der Leyen habe die Bundeswehr mit ruiniert und sei nicht in der Lage gewesen, die Waffensysteme zu organisieren, die dringend nötig gewesen seien.

Es hagelt Vorwürfe

Nach der Einigung zwischen Union und SPD auf ein riesiges Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur hält Grünen-Chef Felix Banaszak eine Entschuldigung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz für angebracht. Jahrelang habe die Union den Finanzbedarf des Staates in Frage gestellt, erklärte Banaszak beim Politischen Aschermittwoch seiner Partei im bayerischen Landshut. «Ich finde, da wäre mal eine Entschuldigung fällig. Ich finde, es wäre jetzt angezeigt, mal ganz, ganz kleine Brötchen zu backen.»

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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