Ukraine-Krieg ++ Industrie warnt
Ohne Russland-Gas wäre Wirtschaft bald ,,am Ende"

Die Unionsfraktion im Bundestag hatte einen Stopp des Gasbezugs über die Pipeline Nord Stream 1 gefordert. | Foto: Stefan Sauer/dpa
  • Die Unionsfraktion im Bundestag hatte einen Stopp des Gasbezugs über die Pipeline Nord Stream 1 gefordert.
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MÜNCHEN (dpa/lby) - Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat in drastischen Worten vor einem schnellen Stopp der russischen Gaslieferungen nach Deutschland und Bayern gewarnt. Die Gasspeicher seien nur zu rund einem Viertel gefüllt, sagte Aiwanger am Donnerstag im Landtag in München. Ohne Importe von russischem Gas würden Privathaushalte bald «im Kalten» sitzen, die Industrie wäre dann «abgeschaltet». «Dann ist unsere Wirtschaft in wenigen Wochen fertig», sagte er. «Wenn wir diese Zulieferungen nicht mehr hätten, wäre in wenigen Wochen bei uns die Industrie, die Wirtschaft am Ende.» Man sei «leider Gottes» auf die Importe aus Russland angewiesen, «so bitter das ist und so weh uns das tut».

Aiwanger äußerte sich deshalb verwundert über CDU-Chef Friedrich Merz, der zusammen mit der Unionsfraktion im Bundestag die Bundesregierung aufgefordert hatte, den Bezug von Gas aus Russland über die Pipeline Nord Stream 1 zu stoppen. Natürlich dürfe man niemals nie sagen, «sollten sich die Dinge massiv politisch zuspitzen, weiter eskalieren», sagte Aiwanger. Aktuell wäre dies aber «fatal». Die bayerische Wirtschaft habe «den Angstschweiß auf der Stirn, wenn es denn zu Versorgungsengpässen wirklich käme».

Aiwanger klagte, es sei ein Zeichen der «politischen Naivität» der vergangenen Jahre, dass sich der Staat überhaupt nicht um Gas- und Kohlevorräte gekümmert habe. Nun sei man aus dem Schlaf wachgerüttelt worden. Den Wirtschafts- und Industriestandort Bayern könne man aber nicht auf die Schelle komplett auf erneuerbare Energien umstellen.

Man müsse aber von den fossilen Energien loskommen, betonte Aiwanger. Möglicherweise brauche man aber nun die Kohle als Brückentechnologie, «um die vielleicht nicht mehr sicheren Gaslieferungen absichern zu können». Und auch über eine Verlängerung der Atomlaufzeiten müsse man reden - auch wenn er dies eigentlich nicht wolle. Aiwanger forderte nun zeitnah belastbare Berechnungen, ob man ohne Atomkraft und Gaskraft im Freistaat wirklich keinen «Blackout» hätte.

Auch die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit für einen sofortigen Boykott russischer Energielieferungen nach Vorbild der USA. Das hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch nochmals deutlich gemacht.

Mit Blick auf schon spürbare Beeinträchtigungen der deutschen Wirtschaft hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vor den Folgen weiterer Sanktionen gegen Russland - etwa eines Gas-Embargos - gewarnt.

«In der deutschen Wirtschaft gibt es eine breite Zustimmung für die harten Sanktionen. Denn Krieg ist keine Basis für Geschäfte», sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben der «Rheinischen Post». Die bisherigen Sanktionen begännen Schritt für Schritt zu wirken.

«Aufgrund konkreter Hinweise aus den Unternehmen wissen wir, dass die Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten nicht unterschätzt werden dürfen», sagte Wansleben. «Das gilt nicht nur für weiter steigende Energiepreise, sondern gerade auch für Verwerfungen in den Lieferketten mit großer Breitenwirkung in der Wirtschaft», warnte er.

Mittelstand ist besorgt

Immer mehr mittelständische Industriebetriebe könnten sich bei diesen Preisen die Produktion in Deutschland nicht mehr leisten. «Hinzu kommt die Sorge, die eigenen Anlagen wegen Energieengpässen zumindest vorübergehend abschalten zu müssen. Diese wirtschaftliche Situation sollte jede Politikerin und jeder Politiker in Europa berücksichtigen», sagte Wansleben.

Auch die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie warnen vor dramatischen Folgen. «Wenn Deutschland sich dazu entschließen sollte, kein Gas oder Öl aus Russland mehr zu importieren, würde sich das dramatisch auf unsere Industrie, aber auch auf die Privathaushalte auswirken», sagte der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «Die Inflation wäre zweistellig. Die Versorgungssicherheit wäre ernsthaft gefährdet.»

Debatte über Abschaltung von Nord Stream 1

Als Reaktion auf den Krieg Russlands in der Ukraine hatte die Unionsfraktion im Bundestag einen Stopp des Gasbezugs über die Pipeline Nord Stream 1 gefordert. Dies würde «eine neue Qualität in den Sanktionen bedeuten», hatte Fraktionschef Friedrich Merz am Mittwoch in Berlin gesagt.

Gesamtmetall-Präsident Wolf zufolge würde allein durch eine Abschaltung von Nord Stream 1 Gas in einem Umfang von etwa 550 Terawattstunden ausfallen, «bei einem Bedarf von rund 950 Terawattstunden pro Jahr». Langfristig müsse Deutschland zwar auf jeden Fall unabhängiger von russischen Importen werden, betonte er. «Kurzfristig fehlen uns aber trotz der Bemühungen von Bundesregierung und EU-Kommission schlichtweg die Alternativen.»

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch hält einen kompletten Verzicht auf Öl, Gas und Steinkohle aus Russland für denkbar. «Wir sollten uns einen Stopp der russischen Energie-Importe als letzte Option offenhalten», sagte Miersch der «Rheinischen Post». Die Vorräte für diesen Winter reichten. «Aber die Versorgungssicherheit für den Herbst und Winter 2022/23 vor allem bei Gas herzustellen, ist alles andere als trivial», sagte Miersch.

Autor:

Nicole Fuchsbauer aus Nürnberg

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