„Cum-Ex“-Skandal
Zweifel an „Erinnerungslücken“ von Scholz

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Foto: Christian Charisius/dpa
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HAMBURG (dpa/mue) - Ein neues Buch über die «Cum-Ex»-Affäre um die Hamburger Warburg Bank nährt Zweifel an den von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu geltend gemachten Erinnerungslücken.

In dem Buch schildern zwei Journalisten wie Scholz – damals noch Finanzminister – bei seiner ersten Befragung vor dem Finanzausschuss des Bundestags im März 2020 noch aus eigener Erinnerung über ein Treffen mit den Warburg-Gesellschaftern berichtete.
 Das Buch «Die Akte Scholz – Der Kanzler, das Geld und die Macht» von Oliver Schröm und Oliver Hollenstein wurde der Deutschen Presse-Agentur vor Erscheinen am 11. Oktober zur Verfügung gestellt.


Im Protokoll der Ausschusssitzung vom 4. März 2020, das auch der dpa vorliegt, vermerkte die Vorsitzende Katja Hessel (FDP), dass Scholz über das Gespräch vom November 2017 gesagt habe, dass es über das Bekannte aus den sichergestellten Tagebucheinträgen des Bank-Mitinhabers Christian Olearius hinaus nicht mehr zu sagen gebe. Er habe darauf hingewiesen, dass das Steuergeheimnis ihn hindere, über weitere Einzelheiten Auskunft zu geben. Scholz habe aber betont, dass da nichts gewesen sei und dass da auch nichts zu finden sei. Den Verdacht der Einflussnahme auf die steuerlich Behandlung der Bank wies er zurück. Von Erinnerungslücken steht in dem Protokoll nichts.


Protokolle widersprechen Scholz’ älterer Darstellung

Auch im Juli 2020 habe er sich in einer weiteren, dann als geheim eingestuften Sitzung noch an das Treffen erinnert, heißt es in dem Buch. Man habe über viele Dinge gesprochen, und er habe sich lediglich die Sicht der Dinge von Christian Olearius angehört, soll Scholz den Abgeordneten laut dem geheimgehaltenen Protokoll berichtet haben. Auszüge aus dem so genannten VS-Protokoll hatten die Autoren, die seit Jahren in dem Fall recherchieren, jüngst bereits im «Stern» veröffentlicht.
 Damit hätte Scholz 2020 gleich zwei Mal offenkundig aus eigener Erinnerung von dem Treffen berichtet. Bei seiner ersten Aussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Hamburgischen Bürgerschaft zur «Cum-Ex»-Affäre hatte er wenige Monate später, am 30. April 2021, ausgesagt, dass die Treffen zwar stattgefunden hätten, er sich daran aber nicht mehr erinnern könne. Die 
dpa hatte Scholz und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt im Vorfeld dieses Berichts mit den im Buch erhobenen Vorwürfen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten. Eine Regierungssprecherin antwortete: «Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns grundsätzlich nur zu Vorgängen innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bundeskanzleramts äußern.»


Zusammenhang mit Großzügigkeit des Finanzamts?

Der Hamburger Ausschuss soll klären, ob führende SPD-Politiker in Scholz’ Zeit als Bürgermeister Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Warburg Bank genommen haben. Vor ihrer Vernehmung werden die Zeugen – so auch Scholz bei seinen bislang zwei Auftritten – vom Ausschussvorsitzenden Mathias Petersen (SPD) belehrt, dass eine falsche Aussage strafbar ist und der Tatbestand der uneidlichen Falschaussage eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsehe.
 Wie inzwischen bekannt ist, hatte Scholz die Bank-Gesellschafter Olearius und Max Warburg 2016 und 2017 insgesamt drei Mal im Rathaus empfangen. 2016 liefen bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit «Cum-Ex»-Geschäften gegen Olearius.
 Nach den ersten Treffen hatte die Hamburger Finanzverwaltung im Dezember 2016 eine ursprünglich geplante Rückforderung von 47 Millionen Euro wegen zu unrecht erstatteter Kapitalertragssteuern an die Bank doch nicht erhoben und – nach Ansicht der an der Entscheidung Beteiligten – in die Verjährung laufen lassen; dies sagten Zeugen im PUA aus, die an der entscheidenden Sitzung teilgenommen hatten.

Eine zweite Forderung über weitere 43 Millionen Euro war Ende 2017 erst kurz vor knapp erhoben worden, und zwar auf Weisung des Bundesfinanzministeriums, verjährungsunterbrechende Maßnahmen zu ergreifen. Die Finanzverwaltung hatte zuvor noch versucht, die Weisung abzuwenden.
 Nach einem Gerichtsurteil hatte die Bank 2020 nach eigenen Angaben schließlich alle ausstehenden Steuerrückforderungen beglichen, versucht aber auf juristischem Weg weiter, das Geld zurückzubekommen.


Scholz-Vertrauter blockt im Ausschuss ab


In dem Buch werden die Zusammenhänge des «Cum-Ex»-Skandals chronologisch aufgearbeitet – vielfach gestützt auch auf die Tagebucheinträge von Olearius. Über die Tagebücher, die bei einer Durchsuchung im Auftrag der in Sachen «Cum-Ex» ermittelnden Staatsanwaltschaft Köln im Haus des Bank-Mitinhabers sichergestellt wurden, hatten «Panorama» und «Zeit» erstmals im Februar 2020 berichtet – zunächst allerdings nur von dem letzten Treffen 2017. 
Später waren dann auch die beiden ersten Treffen im September und Oktober 2016 durch Berichte von «Panorama», «Zeit» und «Süddeutscher Zeitung» bekanntgeworden, die umso brisanter waren, weil sie im engen zeitlichen Zusammenhang mit der nicht gestellten Steuerrückforderung der Hamburger Finanzverwaltung standen. In den Befragungen des Finanzausschusses hatte Scholz nur von dem damals schon bekannten Treffen 2017 berichtet. Ausschussmitglieder wie der Hamburger Linken-Finanzexperte Fabio de Masi fühlten sich deshalb von ihm hinters Licht geführt.


Vor der Veröffentlichung der Berichte über die beiden ersten Treffen am 3. September 2020 habe Schmidt – ein enger Vertrauter von Scholz und damals noch Staatssekretär im Finanzministerium – versucht, die Berichterstattung zugunsten seines Chefs zu drehen, schreiben Schröm und Hollenstein. Dazu habe er Handy-Fotos von kurzen, in gelb und grün markierten Textpassagen aus dem als geheim eingestuften Protokoll der letzten Finanzausschusssitzung mit Scholz per Messengerdienst an Journalisten geschickt. Ein Mittel, «dass ihm streng verboten ist», wie die Autoren schreiben.
 Im Hamburger Untersuchungsausschuss hatte Linken-Obmann Norbert Hackbusch bei der Vernehmung Schmidts nach der Weitergabe von Informationen aus dem geheimen Protokoll gefragt – und war abgeblitzt. «Die Frage, ob hier ein Geheimnisverrat stattfand, beantwortete er mit dem unverschämten Hinweis, dies gehe den Untersuchungsausschuss gar nichts an», zeigte Hackbusch sich anschließend empört. «Das war alles am Rande der Legalität oder sogar schon darüber hinaus.»

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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