Warum man Ratten konsequent bekämpfen muss
Es geht um gefährliche Krankheiten und jede Menge Kot
BERLIN (dpa/vs) - Auch, wenn sie bei manchen Menschen Kultstatus genießt und bei vorurteilsfreier Betrachtung nicht grusliger aussieht, als andere Nagetiere auch, so ist deren Bekämpfung abseits der Haustierhaltung trotzdem unvermeidbar. Es geht um die Ratte.
Von Gisela Gross, dpa
Beinahe gerät Mario Heising am Rande der Berliner Karl-Marx-Allee ins Straucheln. Zahlreiche Löcher in der Erde sind im hohen Gras kaum zu sehen. Bis man versehentlich hineintritt. In das Werk von Ratten.
Für Heising ist der Befall hier eindeutig: Spuren im Erdreich, Nagespuren an ausgelegten Ködern, dazu recht frischer Rattenkot. Die angepeilten «100 Prozent Tilgung» hat der Schädlingsbekämpfungs-Meister vor Ort noch nicht erreicht. «Hier komme ich bestimmt noch drei, vier Mal hin», sagt er.
Eine Plage
Wenn man ein Gespür dafür bekommen will, wie groß Berlins Rattenproblem ist, sucht man oft nach Zahlen. Seriös schätzen, wie viele der Tiere es hier gibt, kann aber niemand. Etwas Orientierung bieten Daten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso):
Dorthin meldeten die Bezirke 2022 rund 8140 abgeschlossene Rattenbekämpfungen, in diesem Jahr bisher rund 1600. Bei weitem nicht jeder Fall allerdings wird gemeldet. Heising schätzt, dass es eher 45.000 Einsätze pro Jahr in der Stadt sind.
In der US-Metropole New York gehen Fachleute von Millionen Ratten aus. Dort wurde kürzlich gar eine erste stadtweite Direktorin für Nagetierbekämpfung vorgestellt, die «Rattenzarin» genannt. Für Berlin ist so ein Schritt wohl nicht notwendig.
Heising, 1. Vorsitzender des Landesverbands Berlin/Brandenburg des Deutschen Schädlingsbekämpferverbandes, sieht keine großartigen Veränderungen im Laufe der Zeit. «Wir Schädlingsbekämpfer halten ja den Deckel drauf.»
Menschliche Beziehung zur Ratte
Heisings Auto ist werbefrei, auch an der Kleidung ist der Job nicht direkt zu erkennen. Kunden wollen in der Regel nicht, dass jemand sieht, wer da ein und aus geht. Die Scham, die in Deutschland mit dem Thema Schädlinge verknüpft sei, ärgert Heising. «Totaler Blödsinn», schimpft er.
Seine Präsenz bedeute ja eher: Da sei jemand sensibilisiert und unternehme etwas. Stattdessen herrsche immer dieses «Iiih-Gefühl» vor. Dabei seien viele Befallssituationen eben dem modernen Leben geschuldet: Von Reisen würden Bettwanzen mitgebracht, in naturnahen Parks fühlten sich Ratten nun mal wohl.
Die Kanalisation als Wegenetz, herumliegende Abfälle, teils ungepflegte Grünanlagen: Städte wie Berlin böten einfach günstige Bedingungen für Ratten. Hinzu kämen Vogelliebhaber, die Unmengen Brot auslegten, was schon zu massiven Rattenplagen geführt habe.
Wenn Schädlingsbekämpfer dann Giftköder auslegen, kommt es auch zu Diskussionen mit Eltern und Hundehaltern, wie Heising berichtet. Dann erkläre er, welche Gefahr von Keimen ausgehe, die von den Nagern übertragen werden können.
Ratten und ihre Folgen
Wanderratten können laut Umweltbundesamt über 100 verschiedene Erreger auf den Menschen übertragen, darunter etwa Salmonellen. Da sie sich im Abwassersystem bewegen, wo die Keimdichte hoch ist, bestehe die erhebliche Gefahr einer Verschleppung in die oberirdische Welt.
Ansteckungen passieren in der Regel unbemerkt über die Ausscheidungen der Tiere. Heising nennt das Beispiel Sandkasten, wo Kinder in Kontakt mit Rattenkot und -urin kommen können. Treten später Erbrechen und Durchfall auf, heiße es: Magen-Darm. An eine Verbindung zu Ratten denke kaum jemand.
Auch in Sachen Corona sehen Fachleute eine - bisher abstrakte - Gefahr: Forscher berichteten in diesem Frühjahr über Ratten aus New York, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert hatten. Die Befürchtung ist seitdem, dass sich ähnlich wie in der Pandemie auf dänischen Nerzfarmen durch Ansteckungen unter den Tieren möglicherweise eine neue Variante entwickeln und auf den Menschen zurückspringen könnte. Unter Umständen in wieder gefährlicherer Form.
Bei Ratten aus Deutschland wurden bisher zwar keine Hinweise auf Sars-CoV-2-Infektionen gefunden, es gab aber auch nur relativ wenige Untersuchungen. Wegen der US-Erkenntnisse sollen sie nun verstärkt erfolgen. Am Friedrich-Loeffler-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, werden laut einer Sprecherin Ratten beziehungsweise Proben aus mehreren Städten für Untersuchungen gesammelt. Sollte sich in den Tieren etwas entwickeln, möchte man es rechtzeitig erkennen.
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