Karneval 1845: Berliner Kotzwürste und Zensur
So hatte sich die Obrigkeit den Kölner Rosenmontagszug nicht vorgestellt

Brav und politisch korrekt: Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, steht auf dem Wagen der Rote Funken (Kölsche Funke rut-wieß v. 1823).
 | Foto:  Federico Gambarini/dpa
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  • Brav und politisch korrekt: Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, steht auf dem Wagen der Rote Funken (Kölsche Funke rut-wieß v. 1823).
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KÖLN (dpa/vs) - Je nach Stadt und Gemeinde gibt es bei den beliebten Karnevalsumzügen, was die dargestellten Themen angeht, eine breite Spannweite von brauchtümlich-brav bis politisch-provokativ. Doch wer hätte gedacht, dass ein berühmter Umzug ausgerechnet von den Regierenden ins Leben gerufen worden ist? - Genau 200 Jahre ist das her!

Von Christoph Driessen, dpa

Der Kölner Karneval ist heute nicht gerade als subversiv bekannt. Im Rosenmontagszug fahren sogar Vertreter der Landesregierung wie Innenminister Herbert Reul (CDU) als Ehrengäste mit. Diese Nähe zu den Mächtigen reicht 200 Jahre in die Geschichte zurück. Schon der erste Rosenmontagszug am 10. Februar 1823 war ein Versuch, das bis dahin anarchische Fest an die Kette zu legen.

Seit dem Mittelalter hatte der «Fastelovend» eine «verkehrte Welt» geschaffen, in der die Armen und Machtlosen für wenige Tage «Narrenfreiheit» genossen und die hohen Herren verspotten konnten. Auf brave durchreisende Bürgersleut wirkte die gelebte Disziplinlosigkeit geradezu traumatisierend. Der Münchner Hofrat Albert Klebe notierte 1800: «Alle Wirtshäuser ertönten von Musik und Gläserklang und dem Brüllen und Jauchzen des besoffenen Pöbels.»

So konnte es nicht weitergehen - vor allem nicht, nachdem das schon damals als liberal und locker, aber auch chaotisch geltende Köln 1815 an das autoritäre und ordnungsversessene Preußen gefallen war. Im Winter 1822/23 setzten sich deshalb einige grundsolide Vertreter der Kölner Oberschicht in einem Weinhaus zusammen und berieten, wie sie das Treiben domestizieren könnten. Ihr Vorbild war der kultivierte venezianische Karneval. Deshalb importierten sie als Erstes seinen Namen und tauften die Fastnacht in Karneval um. Als Zweites erfanden sie einen romantischen Maskenzug.

Von Fürsten und Feldherren inspiriert

Vermutlich wurden sie dabei von Triumphzügen der Fürsten und Feldherren inspiriert, vor allem aber von der Fronleichnamsprozession der katholischen Kirche. Zur Organisation des Zuges bildeten die Initiatoren im Januar 1823 ein «festordnendes Comité für die Carnevalslustbarkeiten», das bis heute besteht. Obwohl bis zum Rosenmontag nur noch zwei Wochen Zeit war, gelang ihnen schon mit dem ersten Zug ein großer Erfolg, auch in kommerzieller Hinsicht.

Der Karneval wurde zum großen Geschäft samt Merchandising mit Kappen, speziellem Briefpapier und «Narrentabak». Andere Städte beeilten sich, das Kölner Modell zu kopieren. Die Polizeibehörden sorgten indes dafür, dass die Figur des zunächst geplanten «König Karneval» durch «Held Karneval» ersetzt wurde. In Preußen gab es schließlich nur einen König, und der saß in Berlin.

Somit hatte die Oberschicht den Karneval gekapert. «Niedere Volksschichten» wurden von den Sitzungen ausgeschlossen. Doch dagegen regte sich Widerstand: Der überzeugte Demokrat Franz Raveaux tat sich mit Gleichgesinnten zusammen und organisierte einen zeitkritischen Alternativkarneval, bei dem jeder willkommen war. Statt «unschuldiger Zeitverspottungen» wollte Raveaux die «Verkehrtheiten der Zeit, insbesondere aus dem Gebiet der vaterländischen Politik» aufgreifen.

Einzigartiger Wettbewerb

Am Rosenmontag des Jahres 1845 erlebte Köln eine Sensation, die es weder davor noch danach je gegeben hat: Zwei konkurrierende Karnevalszüge buhlten um die Gunst der Zuschauer. Den einen hatte die obrigkeitshörige Große Karnevalsgesellschaft ausgerüstet, den anderen Raveaux. Ein Plakat für diesen alternativen Rosenmontagszug machte sich über «Zensurwurst» und «Berliner Kotzwürste» lustig.

1848 gab der Kölner Karneval sogar den Startschuss für die große Märzrevolution, die Deutschland in jenem Jahr demokratisierte: Im Stadtzentrum stieg ein Gasballon in Gestalt von Hanswurst in den Himmel - weithin sichtbar leuchtend in den republikanischen Farben Schwarz-Rot-Gold. Schwarz stand für Pulver, rot für Blut und gold für die Flamme der Freiheit. Keine zwei Wochen später stand Raveaux in Berlin vor König Friedrich Wilhelm IV. und verlangte Reformen. Als erster demokratischer Abgeordneter Kölns zog er in die Frankfurter Nationalversammlung ein, wo er schnell durch sein Redetalent auffiel. Kein Wunder - hier stand ein erfahrener Büttenredner.

Wichtiges Detail vergessen

In den nächsten Monaten erarbeitete das Parlament in der Paulskirche zwar eine schöne Verfassung, versäumte es aber, sich die Macht auch wirklich zu sichern, vor allem die Kontrolle über das Militär. So konnten die deutschen Fürsten bei nächster Gelegenheit zurückschlagen und das Parlament auflösen. «Gegen Demokraten helfen nur Soldaten» war die Losung des Königs.

Raveaux musste fliehen - er tat es als einer der letzten. Über die Schweiz und Frankreich schleppte er sich 1851 nach Brüssel. In Köln wegen Rebellion und Hochverrats zum Tode verurteilt, starb er mit nur 41 Jahren im belgischen Exil. In Paris stimmte Heinrich Heine den Abgesang auf die gescheiterte Revolution an: «Gelegt hat sich der starke Wind! Und wieder stille wird's daheime/Germania, das große Kind,/Erfreut sich wieder seiner Weihnachtsbäume.»

Die Narren fanden schnell zur alten Artigkeit zurück. Die Zeit, als Franz Raveaux den Kölner Karneval aufmischte und die Mächtigen bis zur Weißglut reizte, ist seitdem nur noch eine ferne Erinnerung.

Brav und politisch korrekt: Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, steht auf dem Wagen der Rote Funken (Kölsche Funke rut-wieß v. 1823).
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Besucher des Kölner Karnevalsmuseums besichtigen einen originalgetreuen Nachbau des sogenannten «Heldenwagens» aus dem ersten Kölner Rosenmontagszug von 1823. | Foto: Costa Belibasakis/Festkomitee Kölner Karneval
Autor:

Victor Schlampp aus Schwabach

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