Start für den Bürgerrat
Was die neue Einrichtung ist, und wer davon einen Nutzen haben soll
Von Sascha Meyer, dpa
BERLIN (dpa) - Es gibt den Bundestag und den Bundesrat. Und nun auch noch einen Bürgerrat. Das neuartige Ideen-Forum soll im Auftrag des Parlaments Empfehlungen aus der Mitte der Bevölkerung entwickeln. Und zwar als erstes zum praktischen Thema der Ernährung, das alle im Alltag berührt. Dabei ist klar: Gesetze beschließt der Bundestag, und das soll auch so bleiben. Ganz unumstritten ist das Experiment mit einer geregelten Bürgerbeteiligung aber nicht.
Was ist überhaupt der Bürgerrat?
SPD, Grüne und FDP hatten im Koalitionsvertrag angekündigt, «neue Formen des Bürgerdialogs» wie Bürgerräte nutzen zu wollen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Die Einsetzung des Gremiums beschloss der Bundestag im Mai, neben der Ampel stimmte auch die Linke dafür. Bas erklärte bei der Ermittlung der Mitglieder im Juli, mit Bürgerräten sollten neue Wege ausprobiert werden. Sie schafften Raum für Begegnungen, um persönliche Sichtweisen und Erfahrungen einzubringen. Die Meinungsvielfalt bereichere die Demokratie und verschaffe auch Menschen aus der «stillen Mehrheit» eine Stimme.
Und wer sitzt im Bürgerrat?
Gewählt wie Abgeordnete der Parlamente sind die Mitglieder nicht. Laut Einsetzungsbeschluss gehören dem Rat 160 Personen an, die per Zufallsprinzip aus allen Menschen über 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Deutschland ausgewählt wurden. Mit bestimmten Kriterien sollte eine «ausgewogene Beteiligung» etwa nach Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft, Ortsgröße und Bildungshintergrund erreicht werden. Unter den Mitgliedern sind nach Angaben der Organisatoren auch 2,5 Prozent Veganer und 10 Prozent Vegetarier. Beim Bildungsstand seien zunächst mehr als 70 Prozent mit Hochschulabschluss unter den Interessenten gewesen - im Rat sind Akademiker nun mit rund 26 Prozent vertreten.
Wie genau kam die Zusammensetzung zustande?
Bas ermittelte die 160 Mitglieder in einer «Bürgerlotterie», der wiederum ein Stufenverfahren vorausging. Dafür wurden im Juni knapp 20.000 ausgeloste Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme eingeladen. Es kamen 2200 Rückmeldungen mit Mitmach-Interesse. Daraus ermittelte ein Algorithmus 1000 mögliche Zusammensetzungen eines Bürgerrates nach den vom Bundestag bestimmten Kriterien. Bas loste dann eine dieser Varianten des Bürgerrats mit 160 Teilnehmern aus - dafür zog sie die drei Ziffern für die Zusammensetzung des Rates Nummer 187.
Wie soll der Bürgerrat arbeiten?
Gleich nach der Eröffnung steht am Wochenende die erste Sitzung an. Insgesamt stehen drei Wochenendtreffen und sechs digitale Sitzungen auf dem Fahrplan. Bis 29. Februar 2024 soll das Gremium dann ein «Bürgergutachten» mit Empfehlungen vorlegen - und zwar maximal neun, wie es im Konzept heißt. So sollen bewusst Prioritäten gesetzt werden. Abgestimmt werden soll mit Mehrheit, sichtbar werden sollen aber auch Minderheitspositionen. Als «Aufwandspauschale» gibt es 100 Euro pro Präsenz-Sitzungstag und 50 Euro pro Digital-Sitzung. Zur fachlichen Unterstützung soll ein wissenschaftlicher Beirat dienen.
Worum genau geht es in der Sache?
Das Thema lautet «Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben.» Dabei soll sich das Gremium vor allem damit befassen, wo der Staat in der Ernährungspolitik aktiv werden soll und wo nicht. Konkrete Themen sind zum Beispiel Kennzeichnungen zur Umweltverträglichkeit und zu Tierwohlstandards, der Steuerrahmen bei Lebensmitteln oder Lebensmittelverschwendung. Im Blick stehen sollen mögliche Maßnahmen, für die der Bundestag auch zuständig ist.
Wie sind die Erwartungen?
Die Verbraucherzentralen unterstützten das Konzept, Bürgerinnen und Bürger gemeinsam Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Fragen diskutieren zu lassen. Für einen gelungenen Transformationsprozess der Land- und Ernährungswirtschaft sei das gerade wichtig, um ihre Alltagserfahrungen einfließen zu lassen, sagte die Fachreferentin des Bundesverbands, Carolin Krieger. Von Union und AfD kam vorab Kritik an dem neuen Gremium, das vom Parlament nicht benötigt werde. In der Schublade verschwinden soll das «Bürgergutachten» tunlichst nicht. Festgelegt ist schon eine Aussprache im Plenum, dem könnten sich dann noch vertiefende Beratungen in den Bundestagsausschüssen anschließen.
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