Wem gehören meine Organe?
Karl Lauterbach will neuen Anlauf für umstrittenes Gesetz nehmen
BERLIN/FRANKFURT/MAIN (dpa/vs) - Wenn ich verhindern möchte, dass nach meinem Tod Organe aus meinem Körper entnommen werden, muss ich dann zu Lebzeiten ausdrücklich widersprechen? Oder reicht eine fehlende Zustimmung dafür aus? - Aktuell prallen beide Meinungen in der Politik wieder aufeinander. Dabei geht es um Selbstbestimmungsrechte, Lebensrettung, aber auch um Politikversagen.
Von Sascha Meyer und Sandra Trauner, dpa
Angesichts eines deutlichen Rückgangs bei lebensrettenden Organspenden in Deutschland kommt die Debatte über eine weitreichende Reform wieder auf. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dringt auf einen neuen Anlauf für grundlegend andere Spenderegeln. «Das geltende Gesetz ist gescheitert», sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.
Viele Menschen seien zwar zur Organspende bereit, dokumentierten das aber nicht. «Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen» - also, dass man zunächst automatisch als Organspender gilt, außer man widerspricht. Das Echo ist geteilt.
Lauterbach sagte zur Begründung für einen neuen Anlauf: «Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten.» Die Zahl der Organspenden sank im vergangenen Jahr deutlich. Nach Daten der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) gab es 6,9 Prozent weniger Spenden als 2021. Im vergangenen Jahr spendeten 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe - nach 933 Spendern 2021 und 913 im Jahr 2020. Die Zahl der entnommenen Organe sank demnach nun auf 2662 nach 2905 im Jahr 2021 und 2941 im Jahr 2020. Damit gab es 2022 gerade mal etwas mehr als zehn Spender pro eine Million Einwohner - und rund 8500 Menschen stehen auf Wartelisten für Organe.
Mögliche Gründe für den Rückgang sind laut DSO die Corona-Pandemie und daraus resultierende Personalausfälle in Kliniken. Dies habe wesentlich zu einem Einbruch der Spendezahlen um 30 Prozent im ersten Quartal 2022 beigetragen. Die restlichen Quartale hätten dann eine Stabilisierung auf dem Niveau der Vorjahre gebracht. «Dennoch stellt sich die Frage, warum es nicht gelingt, die Organspendezahlen zu steigern», sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel.
Angehörige sind häufig unsicher
Der häufigste Grund, warum Organspenden nicht erfolgten, sei fehlende Einwilligung, erläuterte die DSO. Eine Ablehnung habe in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen (7,3 Prozent) oder mündlichen (16,3 Prozent) Verstorbenenwillen basiert. Wenn Angehörige gefragt würden, entschieden sie sich aus Unsicherheit häufig dagegen, da sie den Wunsch der Verstorbenen nicht kennen.
Ein erster Anlauf für eine Widerspruchslösung war vor drei Jahren gescheitert. Lauterbach und der damalige Minister Jens Spahn (CDU) hatten sich als Abgeordnete dafür eingesetzt. Stattdessen beschloss der Bundestag am 16. Januar 2020 ein moderateres Gesetz, wonach Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt bleiben. Mehr Aufklärung soll aber mehr Bürger dazu bewegen, konkret über eine Spende nach dem Tod zu entscheiden. Ein Kernstück der Reform - ein Register, in dem man Erklärungen zu seiner Spendebereitschaft online speichern kann - wurde bisher allerdings gar nicht eingerichtet.
Patientenschützer kritisieren Lauterbach
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte deswegen den Vorstoß des Ministers. «Karl Lauterbach lenkt von seinem eigenen Versagen ab», sagte Vorstand Eugen Brysch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Nicht das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende ist gescheitert, sondern die Umsetzung durch den Bundesgesundheitsminister.» Seit Jahren kämen der Aufbau des Registers und eine ebenfalls vorgesehene Informationspflicht bei Bürgerämtern nicht voran. Stattdessen wolle Lauterbach die von ihm favorisierte Widerspruchslösung erzwingen. Er müsse vielmehr verbindlich erklären, wann das Register ans Netz geht.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) begrüßte den Vorstoß Lauterbachs. «Die Einführung der Widerspruchslösung bietet die Chance, dass mehr Organe gespendet werden und dadurch mehr Menschen ein lebensrettendes Spenderorgan bekommen.» Auch unabhängig davon dürfen Anstrengungen nicht nachlassen, Menschen zu motivieren, sich mit dem Thema zu beschäftigen und eine Entscheidung zu treffen.
Auch Baden-Württembergs Ressortchef Manne Lucha unterstützte einen neuen Anlauf. «Es sterben Menschen, weil nicht genügend Organe zur Verfügung stehen.» Das dürfe nicht sein, sagte der Grünen-Politiker. Der Bundestag sollte das Thema schnell auf die Tagesordnung bringen. Organspenden gingen bundesweit seit Jahren zurück. «Anders als mit der Widerspruchslösung können wir dieses Problem nicht lösen.»
Aus der Mitte des Parlaments
Über ethische Fragen wie Organspenden entscheidet der Bundestag meist ohne Fraktionsvorgaben. Gesetzesvorschläge kommen aus der Mitte des Parlaments, nicht von der Regierung. Das geltende Gesetz legte eigentlich fest, zum 1. März 2022 das neue Bürgerregister zu starten. Dies wurde aber verschoben - um eine Belastung der Kliniken in der Corona-Krise durch technisch-organisatorische Vorarbeiten einer Anbindung zu vermeiden, wie es zur Begründung vom Ministerium hieß.
Die Reform ging auf die Initiative einer Abgeordnetengruppe um die heutige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und die damalige Linke-Chefin Katja Kipping zurück. Generell sollen demnach alle Bürgerinnen und Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema angesprochen werden. Wer ab dem Alter von 16 Jahren einen Personalausweis oder einen Pass beantragt, soll auf dem Amt Informationsmaterial zu Organspenden bekommen. Vorgesehen ist auch, dass Hausärzte Patienten auf Wunsch alle zwei Jahre über Organspenden informieren und - ergebnisoffen - zum Eintrag ins Register ermuntern.
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