Kündigung wegen WhatsApp-Hass rechtmäßig?
Problem: Wenn privat nicht mehr privat ist...
Von Simone Rothe, dpa
ERFURT (dpa) - Pöbeleien und böse Beleidigungen treffen auch Manager und Arbeitnehmer im Internet. Wenn solche Schmähungen durch Kollegen öffentlich sind, drohen außerordentliche Kündigungen.
Aber wie öffentlich oder privat sind ehrverletzende Äußerungen in geschlossenen Chatgruppen wie beim Messaging-Dienst WhatsApp? Diese Frage beschäftigte bisher die Arbeitsgerichte einzelner Bundesländer. Heute sind erstmals die höchsten deutschen Arbeitsrichter in Erfurt am Zug. Der Präzedenzfall, den sie verhandeln, stammt aus Niedersachsen.
Der Fall
Bis zu sieben befreundete Arbeitskollegen einer Fluggesellschaft, darunter zwei Brüder, bildeten über Jahre eine WhatsApp-Gruppe und tauschten fleißig Nachrichten über ihre privaten Smartphones aus. Ihr Arbeitgeber geriet in Turbulenzen, Umstrukturierungen standen an. Mitglieder der Chatgruppe sollten 2022 in eine Transfergesellschaft wechseln.
Monate davor wurde ein Teil ihres Chat-Verlaufs mit wüsten Beschimpfungen eines ihrer Chefs kopiert und gelangte zunächst an den Betriebsrat und dann an den Personalchef - immerhin ein 316-seitiges Dokument. Dessen Echtheit bestätigte einer der Beteiligten schriftlich, wie aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen von Dezember 2022 hervorgeht. Hintergrund soll ein Arbeitplatzkonflikt gewesen sein.
Die Reaktion des Arbeitgebers
Dem Personalchef des Unternehmens wurde beim Lesen einiges zugemutet: Die Chats enthielten beleidigende, rassistische, teilweise menschenverachtende und sexistische Äußerungen sowie Aufrufe zu Gewalt. Unter anderem ist von «in die Fresse hauen» die Rede. Der Arbeitgeber reagierte mit außerordentlichen Kündigungen, denen der Betriebsrat zustimmte. Die Betroffenen zogen vor Gericht - bis in die letzte Instanz.
Die Entscheidung der Vorinstanzen
Das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gaben den Klagen der pöbelnden Arbeitnehmer statt. Der Arbeitgeber sollte ihnen Gehalt nachzahlen. Das Landesarbeitsgericht, das eine Revision zuließ, begründete seine Entscheidung so: «Äußerungen in einer privaten Chatgruppe genießen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht, wenn der Äußernde auf die Wahrung der Vertraulichkeit vertrauen durfte.»
Die rechtliche Bewertung
Die Bundesarbeitsrichter stehen nun vor der Frage, ob eine WhatsApp-Gruppe unter Kollegen eine Art geschützter Raum ist, in dem private Meinungen und Beschimpfungen von Chefs ohne arbeitsrechtliche Folgen ausgetauscht werden können. Möglicherweise geht es auch darum, ob die kopierten Chatprotokolle im Rechtsstreit überhaupt verwertbar sind.
«Bei kleinen, geschlossenen Chatgruppen wie oft bei WhatsApp ist die bisherige Rechtssprechung der Arbeitsgerichte unterschiedlich», sagte der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing der Deutschen Presse-Agentur. Fälle seien unter anderem von Gerichten in Berlin-Brandenburg und Nordrhein-Westfalen verhandelt worden. Die Beleidigungen im Fall aus Niedersachsen bezeichnete Thüsing als krass und menschenverachtend. «Die Frage ist, ob das noch privat und damit geschützt ist.» Chat-Inhalte könnten schließlich weitergeleitet und gespeichert werden. Beleidigungen mit betrieblichem Bezug sind laut Thüsing «ein klassischer Grund für außerordentliche Kündigungen».
Sozialen Medien und Gerichte
Grobe Beleidigungen und Ehrverletzungen von Kollegen und Arbeitgebern in den sozialen Medien spielen nach Angaben des Arbeitsrechtlers zunehmend eine Rolle bei Streitigkeiten vor den Gerichten in Deutschland. Das Spektrum sei breit - von der Weiterleitung intimer Fotos von Kolleginnen bis zur Kündigung per WhatsApp. Eindeutig sei die Rechtsprechung inzwischen, «wenn Beleidigungen nicht im Schutz einer kleinen Chatgruppe ausgesprochen werden» - dies könnte außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen.
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