Marktbereinigung bietet Perspektiven
Mehr Chancen durch Pleiten?
NEUSS / BERLIN (dpa/mue) - Angesichts zunehmender Unternehmensinsolvenzen in Deutschland müssen sich Banken und andere Gläubiger auf steigende Zahlungsausfälle einstellen.
Die Summe der Gläubigerschäden von 36 Milliarden Euro im vergangenen Jahr dürfte 2023 deutlich überschritten werden, sagte der Leiter Wirtschaftsforschung von Creditreform, Patrik-Ludwig Hantzsch, der Deutschen Presse-Agentur. Die Wirtschaftsauskunftei rechnet mit einer Verschärfung der Situation in den kommenden Monaten. Doch aus Expertensicht haben die Pleiten nicht nur schlechte Seiten; volkswirtschaftlich brächten sie eine wichtige Marktbereinigung, sagt etwa Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung beim Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). So zeigten Daten, dass insolvente Firmen im Schnitt deutlich weniger produktiv seien als Unternehmen, die nicht in die Insolvenz gehen. Würden sie am Leben gehalten, «dann würden wir unsere gesamtwirtschaftliche Produktivität über kurz oder lang beschädigen.» Da derzeit viele zukunftsträchtige Unternehmen händeringend Arbeitskräfte suchten, wäre es «besonders schädlich», schwache Unternehmen im Markt zu halten und diese wichtigen Ressourcen dort zu binden, so der Experte. Zwar habe sich der Arbeitsmarkt in jüngster Zeit etwas abgeschwächt und es gebe etwas weniger offene Stellen. Dennoch griffen sozialpolitische Begründungen für Arbeitsplatzrettungen wie in den von Massenarbeitslosigkeit geplagten 1990er und 2000er Jahren heute nicht mehr und seien angesichts des großen Fachkräftebedarfs «aus der Zeit gefallen». Hinzu kämen die Faktoren Transparenz und Gläubigervertrauen: Im Geschäftsverkehr müsse klar sein, dass das Gegenüber tatsächlich zahlungsfähig sei, sagte Müller.
Zahl der Insolvenzen steigt
Auch Hantzsch hält es für volkswirtschaftlich «richtig und wichtig, dass sich das paradoxe Insolvenzgeschehen der vergangenen Jahre nun normalisiert». Es seien «deutlich zu viele Unternehmen am Markt geblieben, die eigentlich nicht wettbewerbsfähig waren», und die nur dank ausufernder Staatshilfen während der Corona-Pandemie überlebt hätten - etwa durch die Aussetzung von Insolvenzantragspflichten.
Kritisch sei jetzt allerdings der Zeitpunkt, erklärte Hantzsch. Viele angeschlagene Firmen träfen auf ein verschärftes Wettbewerbsumfeld und einen volatilen Markt. «Die “plötzlichen” Ausfälle in größerer Zahl werden für Gläubiger, Geschäftspartner und Kreditgeber zu einem existenziellen Problem», so der Creditreform-Experte. «Die derzeitige Normalisierung ist also ein zweischneidiges Schwert.» Die Zahl der Insolvenzen dürfte auch in den kommenden Monaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich steigen. «Panik ist aber dennoch kein guter Ratgeber», so Hantzsch. Zu Zeiten der Finanzkrise im Jahr 2009 seien in der Spitze mehr als 33.000 Unternehmen insolvent gewesen. «Von diesen Werten sind wir noch weit entfernt.»
Autor:Uwe Müller aus Nürnberg |
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