Wenn im Kriegsfall alle zu Frauen werden
Lücken und Tücken im neuen Selbstbestimmungsgesetz
BERLIN (dpa/vs) - Das Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung ist fertig und soll nun in Abstimmung geben. Was die einen als großen Wurf sehen, ist für andere eine hausgemachter Blödsinn. Hoffnungen prallen auf Befürchtungen. Wer blickt da noch durch?
Männer sollen im Verteidigungsfall nicht durch Änderung ihres Geschlechtseintrags einer möglichen Einberufung entgehen können. Das sieht eine Sonderregelung im geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Ampel vor. Bundesjustiz- und Familienministerium haben für das Vorhaben einen fertigen Entwurf in die regierungsinterne Abstimmung gegeben. Er liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Enthalten sind darin auch weitere Sonderregelungen und Klarstellungen etwa mit Bezug auf Sport, Wettkämpfe, Umkleideräume, den Strafvollzug oder Quotenregelungen in Unternehmen.
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), sagte der dpa, man sei einen entscheidenden Schritt weiter. Er äußerte die Hoffnung, dass das Gesetz noch vor der Sommerpause im Bundeskabinett auf den Weg gebracht wird. «Damit ergreift erstmals eine Bundesregierung aktiv die Initiative, das diskriminierende Transsexuellengesetz nach über 40 Jahren zu ersetzen.» Nach dem Kabinett muss das Gesetz auch noch durch Bundestag und Bundesrat. Wann es in Kraft treten kann, ist damit noch unklar.
Vornamen einfach ändern können
Die Ampel-Parteien hatten das Vorhaben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Jeder Mensch in Deutschland soll den Plänen zufolge künftig sein Geschlecht und seinen Vornamen selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können. Das Gesetz richtet sich laut Familien- und Justizministerium an transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen.
«Trans» umfasst den Angaben zufolge Personen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. «Inter» bedeutet angeborene körperliche Merkmale zu haben, «die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen». «Nicht-Binär» wird als Selbstbezeichnung für Menschen die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren definiert.
Dem bisherigen Transsexuellengesetz liege ein «medizinisch veraltetes, pathologisierendes Verständnis von Transgeschlechtlichkeit» zugrunde, heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf. Künftig soll für eine Änderung des Geschlechtseintrags niemand mehr ein Gerichtsverfahren durchlaufen müssen oder ärztliche Bescheinigungen und Sachverständigengutachten benötigen. Es reicht eine einfache Erklärung beim Standesamt. Familien- und Justizministerium rechnen mit etwa 4000 Fällen pro Jahr.
Konservative kritisieren Gesetz
Das Gesetz wird von konservativer Seite und von rechts kritisiert. Bereits der Name «Selbstbestimmungsgesetz» suggeriere, dass geschlechtliche Identität für alle jederzeit frei wählbar sein müsse, hieß es zuletzt von CDU und CSU. Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch hatte das Vorhaben als «Schlag ins Gesicht von Frauen, die sich mit Männern auseinandersetzen müssen, die sich selbst als Frauen definieren» bezeichnet.
Geäußerten Befürchtungen, dass sich nun in böser Absicht Männer zu Frauen erklären und in Frauenumkleiden eindringen könnten oder Strafgefangene durch Änderung ihres Eintrags versuchen, in Frauengefängnisse zu gelangen, tritt der Gesetzentwurf mit Klarstellungen entgegen:
Durch das Gesetz entstehe kein Anspruch auf Zugang zu geschützten Räumen. Das private Hausrecht bleibe unberührt. Besitzer etwa von Frauen-Fitnessstudios oder -Saunen entscheiden damit im Rahmen der geltenden Gesetze weiterhin selbst über den Zugang. Bei Haftanstalten müsse sich die Unterbringung von Strafgefangenen nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, heißt es. Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangener könnten der Verlegung in ein Frauengefängnis entgegenstehen.
Vor Diskriminierung schützen
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte die Diskussion vor wenigen Tagen kritisiert: «Da werden Ängste befeuert, die mit der Realität nichts zu tun haben», sagte sie «Zeit online». Es gehe beim Selbstbestimmungsgesetz darum, die betroffenen Personen in ihrer Geschlechtsidentität anzuerkennen und vor Stigmatisierung und Diskriminierung zu schützen.
Grundsätzlich soll es den Angaben zufolge im Personenstandsregister auch künftig bei den Eintragungen «männlich», «weiblich» und «divers» bleiben, auch keine Angabe einzutragen, bleibt weiterhin möglich. Änderungen des Vornamens oder des Geschlechtseintrags können weiterhin mehrmals vorgenommen werden. Vor einer erneuten Änderung muss aber mindestens ein Jahr vergehen.
Der neue Name oder Geschlechtseintrag soll drei Monate nach Abgabe der Erklärung gelten, bis dahin kann die Änderung auch noch zurückgenommen werden. Kinder bis 14 Jahren können selbst keine Änderung beim Standesamt veranlassen. Das dürfen nur die Sorgeberechtigten. Ab 14 kann die Erklärung selbst abgegeben werden, aber die Sorgeberechtigten müssen zustimmen.
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