Reform des EU-Asylrechts
Neue Zerreißprobe für die Ampel-Koalition?
BERLIN (dpa/vs) - Wenn es um eine europaweit verbindliche Neuordnung des Asylrechts geht, liegen bei den politischen Parteien in Deutschland die Nerven blank. Nicht nur innerhalb der Ampel-Koalition wird um den richtigen Weg gestritten, auch die sogenannte Parteibasis ist nicht immer mit dem einverstanden, was die Spitze macht. Aktuell brodelt es bei den Grünen.
Bei den Grünen gibt es deutliche Kritik an den Plänen für die Reform des EU-Asylrechts - und auch am Kurs des eigenen Spitzenpersonals in der Debatte. Der «Spiegel» berichtete über einen Brief von rund 730 Grünen-Mitgliedern an führende Politiker der Partei.
Darin heißt es demnach: «Auch wenn die Verhandlungssituation in Brüssel sicherlich schwierig ist und wir sicher sind, dass ihr für die Umsetzung des Koalitionsvertrags kämpft, so ist es doch schwer nachvollziehbar, warum die deutsche Verhandlungsposition nicht annähernd den Inhalten des Koalitionsvertrags entspricht.»
«Massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems»
Berichte über die Prioritäten der Bundesregierung hätten sie «erschüttert», zitierte der «Spiegel» weiter aus dem Schreiben der Mitglieder: «Die Ausweitung sicherer Drittstaaten, schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems sind nur einige der Rechtsverschärfungen, die in der vorgeschlagenen Reform des Asylsystems angelegt sind.»
Der Brief wurde dem Bericht zufolge an Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck, Familienministerin Lisa Paus sowie die Parteivorsitzenden und die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion geschickt.
Baerbock kritisiert Grenzverfahren
Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen geben soll. Die Bundesregierung hat sich dafür offen gezeigt, will aber durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen. Entsprechend hatten sich auch Baerbock und Habeck geäußert.
Die Außenministerin sagte, Grenzverfahren seien hochproblematisch - der EU-Kommissionsvorschlag sei aber die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem «geordneten und humanen Verteilungsverfahren» zu kommen.
«Populismus nicht in Gesetzesform gießen»
Die Absender des Briefs fordern die Grünen in Regierung, Bundestag und an der Parteispitze zu mehr Selbstbewusstsein in der Asyldebatte auf. «Wir erwarten nicht, dass sich die schwierige Lage in der europäischen Asylpolitik von heute auf morgen ändert. Aber wir erwarten, dass ihr gemeinsam mit viel Rückenwind aus der Partei, Zivilgesellschaft und der Wissenschaft dazu beitragt, dass Populismus nicht in Gesetzesform gegossen wird und wir die Hegemonie in der Debatte zurückgewinnen», zitiert der «Spiegel» weiter.
Unter den Unterzeichnern sind demnach unter anderen die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, die Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, und Grüne-Jugend-Co-Chef Timon Dzienus.
FDP hält an Reform fest
Der FDP-Innenexperte Stephan Thomae verteidigt die Pläne für eine Reform des EU-Asylsystems indessen. Zugleich mahnte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion im Deutschlandfunk die Einhaltung der Menschenrechte bei Asylgrenzverfahren an.
Es kämen immer mehr Menschen nach Europa - auch solche, für die das Asylsystem nicht gedacht sei. «Wir müssen unterscheiden: Wer braucht wirklich Hilfe, Schutz? Wer flieht wirklich vor Krieg, Bürgerkrieg und vor Gewalt? Und bei wem ist das nicht der Fall? Und diese Unterscheidung müssen wir treffen bei der Neuordnung des Asylsystems.»
Die Linke lehnte die EU-Pläne rundweg ab. Die Asyl-Expertin der Linken-Bundestagsfraktion, Clara Bünger, warnte im ARD-«Morgenmagazin» vor einer «massiven Entrechtung» von Schutzsuchenden.
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