Energiekrise: So will die EU jetzt handeln!
Interview mit Ursula von der Leyen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht im Europäischen Parlament. | Foto: Philipp von Ditfurth/dpa
  • EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht im Europäischen Parlament.
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BRÜSSEL (dpa/vs) - Zwar liefert Russland aktuell wieder Gas nach Europa. Doch die bange Frage bleibt, ob das auch so bleibt. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat bei der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen nachgefragt. 

Interview: Ansgar Haase, dpa

Muss die EU mit einem vollständigen Stopp der Gaslieferungen aus Russland rechnen?

Die EU-Kommission beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja und hat in der vergangenen Woche für den Fall der Fälle einen Notfallplan vorgestellt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt Präsidentin Ursula von der Leyen, warum Gassparen aus ihrer Sicht jetzt schon wichtig ist und appelliert an EU-Staaten, die ihren Vorschlägen kritisch gegenüberstehen.

Frage: Sie haben bei der Vorstellung des Notfallplans gesagt, dass Sie es für wahrscheinlich halten, dass Russland die Gaslieferungen in die EU komplett einstellt. Ist das auch nach der Wiederaufnahme der Lieferungen durch Nord Stream 1 noch ihre Annahme?

Antwort: Bei unserem Paket geht es genau darum, uns von solchen Entscheidungen des Kremls unabhängig zu machen. Denn es ist doch offensichtlich: Der Kreml ist kein verlässlicher Partner für die Energieversorgung Europas. Gazprom hat seine Speicherstände bewusst niedrig gehalten. Inzwischen liefert Russland in zwölf Mitgliedstaaten nur noch teilweise oder gar nicht mehr Gas.

Deswegen muss Europa für den schlimmsten Fall vorbereitet sein: einen vollständigen Stopp der Gaslieferungen, früher oder später. Um die Folgen dessen abzufedern, müssen wir bis März nächstes Jahr 15 Prozent unseres Gasverbrauchs einsparen. Das sind 45 Milliarden Kubikmeter Gas. Und wir sollten sofort anfangen, denn je schneller wir handeln, desto mehr sparen wir - und desto sicherer sind wir.

Unser übergeordnetes Ziel bleibt es, in Europa bis spätestens 2027 komplett unabhängig von russischen Gasimporten zu werden. Mit Hilfe von REPowerEU wollen wir daher 300 Milliarden Euro investieren, etwa um Gas einzusparen und den Umstieg auf die Erneuerbaren zu beschleunigen. Gleichzeitig treffen wir neue Vereinbarungen mit zuverlässigeren Partnern wie den USA und Norwegen.

Frage: Der rasante Anstieg der Gas- und Strompreise trifft neben Unternehmen vor allem einkommensschwache Haushalte und Familien. Setzen Sie sich dafür ein, dass eine Preisobergrenze für Gas eingeführt wird? Und wenn nicht: Was könnte aus ihrer Sicht auf europäischer Ebene getan werden, um Energiearmut zu verhindern?

Antwort: Die Staats- und Regierungschefs haben die Kommission gebeten, eine Preisobergrenze für importiertes Gas zu prüfen. Das machen wir derzeit. Gleichzeitig kennen wir die Schwierigkeiten einkommensschwächerer Haushalte genau.

Deswegen haben wir bereits im Oktober - also lange vor Putins Krieg - ein ganzes Tableau von Ideen vorgestellt, mit denen die Mitgliedstaaten den Preissteigerungen entgegenwirken können. Und die allermeisten EU-Mitglieder machen davon auch Gebrauch. Sie senken Steuern auf Strom und Energie, sie bezuschussen einkommensschwache Haushalte, sie setzen Anreize für die energetische Sanierung von Altbauten, sie helfen von der Strompreissteigerung besonders betroffenen Unternehmen.

Auf europäischer Ebene haben wir zur Unterstützung zum Beispiel auch unsere Beihilferegeln zeitweilig angepasst. Im Rahmen von REPowerEU haben wir eine Energieplattform eingerichtet, um gemeinsam Gas zu kaufen und gute Preise für die Verbraucher in Europa auszuhandeln. Und im größeren Rahmen unseres European Green Deal arbeiten wir ohnehin daran, dass alle Europäerinnen und Europäer vom Umstieg in eine klimafreundliche Zukunft profitieren. Ein viele Milliarden Euro starker Sozial-Klimafonds soll einkommensschwächeren Haushalten zum Beispiel helfen, umweltfreundlichere Autos zu kaufen oder auf sparsamere Heizungen umzusteigen.

Frage: Ganz persönlich gefragt: Finden Sie die Idee gut, deutsche Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, um im Notfall auf Strom aus Gaskraftwerken verzichten zu können?

Antwort: Diese Frage muss jedes EU-Mitglied für sich beantworten. Der Energiemix ist in der Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten. Ich beobachte aber genauso wie Sie wahrscheinlich auch, dass viele EU-Mitglieder davon ausgehen, dass die Atomkraft als Brückentechnologie gebraucht wird. Für mich persönlich ist die erste Priorität, dass wir in Europa so viel wie möglich in die Erneuerbaren investieren, denn das ist die Zukunft.

Frage: Ungarn hat jüngst angekündigt, die Ausfuhr von Erdgas zu verbieten und damit klargemacht, dass es sich im Krisenfall nicht an einem europäischen Solidaritätsmechanismus beteiligen will. Kann Regierungschef Viktor Orbán gezwungen werden, es doch zu tun? Und wie erklären Sie es zum Beispiel den Menschen in Spanien, dass sie Gas sparen sollen, weil Deutschland trotz Warnungen in eine Abhängigkeit von Russland gelaufen ist?

Antwort: Es stimmt, dass einige Mitgliedstaaten stärker von einer Unterbrechung der russischen Gaslieferungen betroffen sind als andere. Doch auch Mitgliedstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen. Der EU-Binnenmarkt ist das Herz unserer Wirtschaft, unsere Volkswirtschaften sind eng miteinander verwoben. Eine Gaskrise beträfe in der einen oder anderen Form daher jeden einzelnen Mitgliedstaat.

Deshalb ist es wichtig, dass alle Mitgliedstaaten die Nachfrage drosseln, dass alle mehr speichern und mit denjenigen Mitgliedern teilen, die stärker betroffen sind. Energiesolidarität ist ein Grundprinzip unserer europäischen Verträge. Unsere bestehende Verordnung über die Gasversorgungssicherheit sieht daher bereits vor, dass die Mitgliedstaaten aufeinander zählen können.

Das Notfallinstrument, das wir am Mittwoch vorgeschlagen haben, ergänzt diese Verordnung und durchläuft nun den üblichen Gesetzgebungsprozess. Ich bin sicher, dass sich die Energieminister, die sich am Dienstag treffen, ihrer Verantwortung bewusst sind. Wir wollen ein Sicherheitsnetz für alle knüpfen, damit wir es sicher durch die beiden nächsten Winter schaffen, alle 27 Mitgliedstaaten gemeinsam.

Frage: Frau von der Leyen, Sie fordern angesichts eines drohenden Gasnotstands dazu auf, so gut es geht Energie zu sparen. Verraten Sie uns, wie in der Kommission gespart wird? Bleibt die Klimaanlage in diesen Tagen trotz der Hitze aus?

Antwort: Je nach Einsparpotenzial werden wir zum Beispiel die Temperatur anpassen und die Betriebszeit von Heizungen, Klimaanlagen und Beleuchtungen optimieren. Wir alle können etwas tun, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Natürlich sollte der öffentliche Sektor dabei mit gutem Beispiel vorangehen.

In der Europäischen Kommission tun wir das. Unser Ziel ist es, als Behörde bis 2030 klimaneutral zu sein. Wir sollten hier nie den größeren Zusammenhang vergessen. Putin überzieht die Ukrainerinnen und Ukrainer mit einem ungerechtfertigten, brutalen Krieg. Wir sollten alles dafür tun, ihm den Geldhahn abzudrehen.

Zur Person: Die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen (63) ist seit dem 1. Dezember 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission. Zuvor war sie lange Bundesministerin, zuletzt der Verteidigung.

Autor:

Victor Schlampp aus Schwabach

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