Reform des Aufenthaltsrechts geplant
Union kritisiert Entwurf der Bundesregierung
BERLIN (dpa/vs) - Auf der einen Seite suchen viele Betriebe verzweifelt Personal, auf der anderen Seite leben in Deutschland viele Menschen mit Migrationshintergrund, die gerne die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen möchte, um hier dauerhaft leben und arbeiten zu können. Mit einem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht wollen die Koalitionsparteien jetzt integrierten Ausländern unter die Arme greifen, die schon mehrere Jahre ohne gesicherten Status in Deutschland leben. Die Pläne der Bundesregierung stoßen jedoch auch auf Kritik.
«Für viele Betriebe vor Ort – mittelständische Unternehmen, Handwerksmeister, Bäcker oder Gastronomen – ist die Suche nach Fachkräften schon heute eine existenzielle Frage», sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese vor der ersten Beratung im Bundestag über den Gesetzentwurf zur Reform des Aufenthaltsrechts, die für Mittwochabend vorgesehen ist. Es sei völlig unverständlich, wenn gut integrierte geduldete Menschen in ihr Heimatland zurückgeschickt würden, um stattdessen mühsam dringend benötigte Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben.
Wer am 1. Januar 2022 fünf Jahre in Deutschland gelebt hat und nicht straffällig geworden ist, soll nach den Plänen der Ampel-Koalition ein Aufenthaltsrecht erhalten. Er hat dann ein Jahr Zeit, die Voraussetzungen für ein reguläres Bleiberecht zu erfüllen.
«Im Jahr 2021 gab es 136.605 geduldete Ausländer, die sich seit mehr als fünf Jahren in Deutschland aufhalten - wir wollen diese Menschen von Hilfeempfängern zu Steuerzahlern machen», sagte der FDP-Politiker Stephan Thomae.
«Wichtig ist, dass die Identität geklärt und der Lebensunterhalt gesichert ist», betonte Wiese. Zu den noch nicht umgesetzten Änderungen im Ausländerrecht, auf die sich SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt haben, gehört allerdings auch der Plan, «die Klärung der Identität einer Ausländerin oder eines Ausländers um die Möglichkeit, eine Versicherung an Eides statt abzugeben» zu erweitern.
Kritik von der Union
Die Union äußerte generelle Bedenken gegen die geplante Reform des Aufenthaltsrechts. «Künftig sollen Ausreisepflichtige bis 27 Jahre bereits nach drei Jahren Aufenthalt und Schulbesuch in Deutschland ein Bleiberecht erhalten - damit entsteht ein Bleiberecht für junge Leute unabhängig von ihrem tatsächlichen Schutzanspruch», kritisierte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz. Das Ergebnis der Asylverfahren werde dadurch in vielen Fällen irrelevant. «Das ist grotesk und produziert im Zweifel Nachahmer, also noch mehr irreguläre Zuwanderung nach Deutschland», sagte die CSU-Politikerin.
Ein weiteres Vorhaben, das auf die Beschleunigung der Asylverfahren abzielt, soll nach Angaben aus Koalitionskreisen noch in diesem Jahr im Bundestag beraten werden. Laut einem Referentenentwurf, der bereits zur Stellungnahme an Länder und Verbände verschickt wurde, soll gleichzeitig die sogenannte Regelüberprüfung abgeschafft werden. Bei dieser Prüfung wird bisher nach einer bestimmten Frist automatisch geschaut, ob es Gründe für einen Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung der Asylberechtigung und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gibt. Diese Überprüfung soll künftig - auch um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu entlasten - nur noch «anlassbezogen» erfolgen.
Beratung soll verbessert werden
Der Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sieht zudem die Einführung einer behördenunabhängigen Beratung für Asylbewerber vor, die vom Bund finanziell gefördert wird. Dazu heißt es, es sei beabsichtigt, die Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege sowie gegebenenfalls «weitere zivilgesellschaftliche Akteure» mit der Asylverfahrensberatung zu betrauen. «Um den Ausländer bestmöglich auf die Anhörung vorzubereiten, soll
die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung, wenn möglich, bereits vor der Anhörung ansetzen», schlägt das Bundesinnenministerium vor.
Für das Jahr 2023 sind für die Förderung 20 Millionen Euro veranschlagt. Ab 2024 werde mit einem jährlichen Finanzierungsbedarf in Höhe von 80 Millionen Euro kalkuliert.
Es sei wichtig, die Asylverfahren deutlich zu beschleunigen, damit schnell Klarheit darüber bestehe, wer in Deutschland bleiben könne und wer nicht, sagte Thomae. Mit Blick auf die unabhängige Beratung von Asylbewerbern stellten sich ihm aber noch einige Fragen, was Ablauf, Zuständigkeit und die Finanzierung betreffe.
Ob das geplante Gesetz tatsächlich zu einer Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren führen werde, müsse sich erst noch erweisen, sagte Lindholz. Sie befürchte eher, «dass die Verfahren durch die künftig staatlich geförderte behördenunabhängige Asylverfahrensberatung noch weiter in die Länge gezogen werden»
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