Ein zu großes Herz? – Mieter steht vor Gericht
Gericht hat die ersten Weichen gestellt

Akten liegen vor einem Prozess in einem Landgericht auf dem Tisch. | Foto: Swen Pförtner/dpa/Symbolbild
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UPDATE

Von Elke Richter, dpa

MÜNCHEN (dpa/lby) - Als die Mutter im Krieg ums Leben kommt, flieht eine betagte Ukrainerin mit ihrer Enkelin nach Deutschland. In Gräfelfing bei München finden sie ein neues Zuhause: Ein 45 Jahre alter Witwer überlässt ihnen die Dachgeschosswohnung des großen Einfamilienhauses, in dem er gemeinsam mit seinen beiden Kindern zur Miete wohnt. Inzwischen sind persönliche Bande entstanden, die Geschichte könnte ein gutes Ende nehmen - wenn die Vermieter die Flüchtlinge nicht partout aus dem Haus haben wollten. Am Freitag stritten die beiden Parteien deshalb vor dem Amtsgericht München darum, ob die Vermieter eine Untervermietung oder Wohnraumüberlassung an die Flüchtlinge erlauben müssen oder verweigern können.

Denn grundsätzlich ist es so, dass Mieter die Zustimmung des Vermieters benötigen, wenn sie einen Teil des gemieteten Wohnraums untervermieten oder unentgeltlich Dritten überlassen wollen. Unter bestimmten Umständen haben Mieter aber auch ein Recht auf diese Zustimmung - wenn sie nämlich ein «berechtigtes Interesse» geltend machen können.

Dieses «berechtigte Interesse» sehen die Gerichte etwa als gegeben an, wenn jemand in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät und alleine die Miete nicht mehr stemmen kann. Oder wenn ein Paar zusammenleben möchte. Oder wenn eine Pflegekraft mit in die Wohnung zieht. Im vorliegenden Fall setzen der 45-Jährige und der DMB Mieterverein München, der diese Frage höchstrichterlich klären lassen möchte und die Klage deswegen unterstützt, darauf, dass auch humanitäre Hilfe ein «berechtigtes Interesse» sei.

Zudem verweisen sie auf das Argument, dass inzwischen enge persönliche Beziehungen zwischen den beiden Familien bestehen, die seit Mitte März zusammen unter einem Dach leben. «Die sind uns natürlich ans Herz gewachsen», betont der Mieter, der vor exakt einem Jahr mit seinem heute 15-jährigen Sohn und der 11-jährigen Tochter in das Haus in der Nachbarschaft umgezogen war. «Die Oma hilft mir sehr bei der Bewältigung der täglichen Arbeit im Haushalt und mit dem Hund.» Er wiederum habe sich unter anderem um psychologische Hilfe für die traumatisierte Enkelin gekümmert.

Die Vermieter jedoch wollen nicht hinnehmen, dass die beiden Ukrainerinnen weiter in der Dachgeschosswohnung leben. «Wir haben die Flüchtlinge nie akzeptiert. Wir wollten das zu keinem Zeitpunkt», betont vor Gericht vehement jene Frau, die das Haus gemeinsam mit ihrem Partner und der Schwiegermutter vermietet. «Wir sind in einer so gut situierten Gemeinde, es gibt ja die Gemeinschaftsunterkünfte für die Ukrainer, wo sie untergebracht sind, wo sie unter ihresgleichen sind.»

Die anfängliche Zustimmung für die Aufnahme der beiden in den ersten Wochen hätten sie nur erteilt, weil sie gewusst hätten, dass sie als Vermieter kurzzeitigen Besuch nicht untersagen dürften, ergänzt die Frau. Doch schon zu Beginn des Mietverhältnisses hätten sie klargemacht, dass sie keine Untervermietung wollten, und dies auch in einer individuellen Vereinbarung festgehalten. Durch die jetzige Situation sei sie psychisch schwer belastet, betonte die Vermieterin. Unter anderem fühle sie sich davon gestört, dass die Ukrainerinnen und deren Besuch beim Betreten des Hauses aufgrund der Wegführung nah an ihrem eigenen, benachbarten Wohnhaus entlangliefen.

Doch letztlich gehe es am Ende einzig und allein um den juristischen Begriff des «berechtigten Interesses», macht die Richterin zum Schluss der Verhandlung klar. «Nach der bisherigen Rechtsprechung ist das eigentlich kein Fall, der die Untervermietung erlaubt. Die ist nicht dafür da, dass man allgemeine humanitäre Grundsätze verwirklicht, sondern da geht es um persönliche Umstände.»

Schließlich könne man Flüchtlingen ja auch mit anderen Mitteln helfen - ohne eine Wohnung heranzuziehen, die jemand anderem gehöre, erläuterte die Richterin. Sie räumte allerdings ein, sich noch sehr genaue Gedanken machen zu müssen. «Das Gesetz ist dazu auch zu vage», betonte die Juristin. Wie der Bundesgerichtshof entscheiden würde, sei völlig offen. Im Verfahren in München geht es nun zunächst am 20. Dezember mit einem Beweisbeschluss oder einem Endurteil weiter.

MÜNCHEN (dpa/lby) – Weil ein Mieter im Landkreis München Mitleid mit zwei Flüchtlingen aus der Ukraine hat, steht er ab heute vor Gericht. Bei dem Urteil könnte es um eine Grundsatzentscheidung handeln.

Nach Ausbruch des Ukrainekrieges wurden landauf, landab händeringend private Unterkünfte für Flüchtlinge gesucht. Auch ein Münchner hatte die Dachgeschosswohnung in seinem gemieteten Haus einer Ukrainerin und ihrer 15-jährigen Enkelin angeboten - zunächst mit Zustimmung der Vermieter. Doch nach acht Wochen wollten diese nicht länger gestatten, dass der Mieter die beiden weiter unentgeltlich in dem Haus in Gräfelfing (Landkreis München) wohnen lässt. An diesem Freitag geht es deshalb vor dem Amtsgericht München um die Frage, ob die Eigentümer dies wirklich verweigern können - oder ob sie der Wohnraumüberlassung zustimmen müssen, wenn es um humanitäre Hilfe geht.

Mieterverein übernimmt Prozesskosten

Nach Angaben des DMB Mietervereins München braucht man grundsätzlich die Zustimmung des Vermieters, wenn man einen Teil seines gemieteten Wohnraums untervermieten möchte oder wie in diesem Fall unentgeltlich Dritten überlassen will. «Unter bestimmten Umständen haben Mieter*innen aber auch ein Recht auf diese Zustimmung - wenn sie nämlich «berechtigtes Interesse» an der Untervermietung beziehungsweise Überlassung nachvollziehbar begründen können.»

Ein solches berechtigtes Interesse könne auch humanitäre Hilfe sein, erläuterte Mieterverein-Experte Volker Rastätter. «Bisher ist das aber nicht höchstrichterlich geklärt. Das wollen wir ändern und übernehmen deswegen die Prozesskosten.» Hinzu komme, dass inzwischen eine starke Bindung zwischen dem verwitweten Mieter und dessen Kindern, der 74-jährigen Ukrainerin und deren 15-jährigen Enkelin entstanden sei, die wiederum durch den Krieg und den Tod ihrer Mutter traumatisiert sei.

Autor:

Victor Schlampp aus Schwabach

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