Zu kompliziert?
Karlsruhe urteilt zur Wahlrechtsreform

Derzeit gibt es 736 Abgeordnete im Bundestag, so viele wie nie zuvor. Die Regelgröße war ursprünglich einmal auf 598 festgelegt.
Foto: Michael Kappeler/dpa
  • Derzeit gibt es 736 Abgeordnete im Bundestag, so viele wie nie zuvor. Die Regelgröße war ursprünglich einmal auf 598 festgelegt.
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KARLSRUHE (dpa/mue) - Ist das Wahlrecht zu kompliziert und sind die Änderungen durch die Wahlrechtsreform von 2020 rechtens? Darüber entscheidet derzeit das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dabei geht es nicht um das aktuelle Wahlgesetz, sondern um die Vorgängerreform. Diese hatte die damalige schwarz-rote Koalition durchgesetzt. Dagegen klagten gemeinsam 216 Abgeordnete von FDP, Grünen und Linken, die damals alle in der Opposition waren. Es geht unter anderem um die Vorschriften zur Sitzzuteilung, nach denen 2021 der aktuelle Bundestag zustande kam. Die Reform hatte das Ziel, den durch Überhang- und Ausgleichsmandate immer größer gewordenen Bundestag zu verkleinern. Aus Sicht der Kläger ist der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verletzt. Außerdem monieren sie, dass die Regelungen viel zu kompliziert und undurchsichtig seien. Damit beschäftigte sich der Zweite Senat schon bei der Verhandlung im April sehr ausführlich. So wurde diskutiert, ob ein Wahlrecht womöglich alleine deshalb schon verfassungswidrig sein könnte, weil es keine Wählerin und kein Wähler mehr versteht.

Konkret hat es das höchste deutsche Gericht mit einer sogenannten Normenkontrolle zu tun. Dabei überprüfen die Richterinnen und Richter die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm - in diesem Fall Artikel 1 Nummer 3 bis 5 des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - unter allen in Frage kommenden Gesichtspunkten.

Bedeutung für Wiederholungswahl in Berlin 

Das Ergebnis dürfte insbesondere noch für die geplante Wiederholungswahl in Berlin von Bedeutung sein. Denn dort muss in einigen Wahlbezirken die Bundestagswahl von 2021 wegen Pannen am Wahltag möglicherweise wiederholt werden. Auch dazu läuft ein Verfahren in Karlsruhe; am 19. Dezember wird das Urteil gesprochen. Diese Wiederholungswahl müsste eigentlich nach denselben Regeln stattfinden wie die ursprüngliche Hauptwahl. Sollte diese aber nach nicht verfassungsgemäßen Regelungen abgehalten worden sein, stellen sich kniffelige Rechtsfragen für das Prozedere der Wiederholungswahl.

Derzeit gibt es 736 Abgeordnete im Bundestag, so viele wie nie zuvor; die Regelgröße war ursprünglich einmal auf 598 festgelegt. Daher waren sich im Grunde alle einig, dass hier Reformbedarf besteht. Nur über das «Wie» wird seit Jahren gestritten. Denn jeder möchte vermeiden, dass die Schrumpfkur auf seine Kosten geht. Ein Kritikpunkt an der Reform von 2020 war, dass Überhangmandate erst ab dem vierten Mandat durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert werden. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis Sitze zustehen. Der Grünen-Politiker Till Steffen hatte in der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe im April kritisiert, damit habe sich die CSU einen «ganz starken Sondervorteil» gesichert. Die CSU-Kandidaten gewinnen in Bayern in der Regel fast alle Wahlkreise.

Eigene Wahlrechtsreform der Ampel

Mittlerweile hat die aktuelle Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine eigene Wahlrechtsreform auf den Weg gebracht. Sie geht noch deutlich weiter als die Vorgängerreform und wird von der jetzigen Opposition heftig kritisiert. Mehrere Klagen dagegen sind schon vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Vor diesem Hintergrund hatten FDP, Grüne und Linke dann auch einen Antrag gestellt, ihr Verfahren zur Vorgänger-Reform ruhen zu lassen. Sie waren der Ansicht, dass sich die Sache erledigt habe. Die Richter und Richterinnen sahen das aber anders und wiesen den Antrag im März zurück - an der Fortführung bestehe ein öffentliches Interesse.

Autor:

Uwe Müller aus Nürnberg

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